Thierse und Kohl: Feinde fürs Leben

Freunde werden Wolfgang Thierse (SPD) und Helmut Kohl (CDU) nicht mehr. Den Bundestagsvizepräsidenten und den Ex-Kanzler verbindet eine abgrundtiefe gegenseitige Ablehnung, die immer wieder Ventile findet. So wie gestern, nach einem Zeitungsinterview Thierses.

Berlin. Gestern forderte die halbe CDU den Rücktritt Thierses. Eine "unerträgliche Mischung aus Selbstgefälligkeit und Charaktermängeln" konstatierte der Abgeordnete Hans-Peter Friedrich dem 64-Jährigen und sein Kollegen Jürgen Gehb sagte, er habe jede Achtung vor Thierse verloren. Auch Generalsekretär Ronald Pofalla meldete sich: Er sei "bestürzt und entsetzt". Auslöser war ein Zitat. "Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal", soll Thierse laut "Leipziger Volkszeitung" gesagt haben. Die Agenturmeldungen darüber sorgten für Empörung, noch bevor der Bundestag zusammen getreten war. Thierse schrieb Kohl sofort einen Brief. Er bedauere, wenn durch das nicht autorisierte Zitat ein falscher Eindruck entstanden sei. Tatsächlich habe er Folgendes gemeint: Am Fall Müntefering sehe man, dass jeder Politiker in eine Lage kommen könne, in der er zwischen Politik und Familie abwägen müsse. Dabei gebe es keine ideale Lösung, die nicht öffentlich negativ kommentiert werde. Weder, seine Familie zu verlassen, wie Helmut Kohl dies gemacht habe, noch die Politik, wie dies nun der Vizekanzler tue. Es handele sich jeweils um eine schwierige persönliche Entscheidung, die man respektieren müsse. Kohl reagierte auf den Brief nicht. Die Bezugnahme auf den Freitod von Hannelore Kohl am 5. Juli 2001 im gemeinsamen Haus in Oggersheim ist ein heikler Punkt, gerade im Vergleich zu Franz Münteferings jetzigem Verhalten. Helmut Kohl war damals trotz der schweren Erkrankung seiner Frau in Berlin, obwohl er da schon lange nicht mehr Kanzler war. Nicht wenige Medien haben seinerzeit, auch anhand von Zitaten Hannelore Kohls, geschildert, dass die Gattin des Altkanzlers sich zuletzt sehr einsam und allein fühlte. Der Streit zwischen beiden Politikern hat einen klaren Ursprung: Die CDU-Spendenaffäre der Jahre 1999/2000. Thierse verlangte unerbittlich eine vollständige Aufklärung, auch der anonymen Spenden Helmut Kohls, und verhängte eine hohe Geldstrafe von 21 Millionen Euro gegen die Union. Zwei Jahre später, Ende August 2002, saß der Altkanzler mit ein paar politischen Freunden im Restaurant des Reichstages und schimpfte: "Das ist der schlimmste Präsident seit Hermann Göring." Ein Göring-Zitat sorgte schon einmal für Ärger

Das Zitat wurde von Journalisten mitgehört. Die ganze SPD reagierte empört über den Vergleich mit der Nazi-Größe und forderte eine Entschuldigung, die es freilich nie gab. Stattdessen sagte Kohl nur, Thierse sei seiner Meinung nach von allen Bundestagspräsidenten "derjenige, der sein Amt am parteiischsten ausübt". Pofalla übrigens saß mit an Kohls Tisch, wollte aber zum Göring-Vergleich nichts sagen. In der Folge der Parteispendenaffäre wurde Thierse von der Union zwei Mal abgestraft. Gegen alle Gepflogenheiten, wonach die stärkste Fraktion den Parlamentspräsidenten stellt, wählte sie ihn Ende 2002 nicht mit, so dass er mit 59 Prozent eines der schlechtesten Ergebnisse der Parlamentsgeschichte erhielt. Und auch 2005, diesmal ging es nur um den Vizeposten, gab es auf CDU-Seite noch zahlreiche Enthaltungen. Da bekam Thierse nur 69 Prozent. Und das trotz großer Koalition.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort