Tiefe Wurzeln

Der Sturz von Franz Müntefering ist alles andere als ein Unfall. Er ist die logische Konsequenz einer politischen Machtprobe. Der scheidende Vorsitzende hatte seiner Partei einen Dressur-Akt verordnet, als er ihr via Spiegel-Interview einen Generalsekretär aufdrückte, den außer ihm keiner wollte.

Und eine Fast-Zweidrittel-Mehrheit im Parteivorstand nutzte Münteferings Provokation, um Verhältnisse zu schaffen, die einen Abgang des Chefs und damit einen radikalen Schlussstrich unter die Ära Schröder/Müntefering unumgänglich machten. Da wusste jeder, was er tat und welche Konsequenzen welches Abstimmungsergebnis haben würde. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Die Ereignisse des gestrigen Tages haben tiefe Wurzeln. Im Hin und Her zwischen Hartz IV in der Regierungspraxis und Heuschrecken-Parolen im Wahlkampf. Im einsamen Neuwahl-Beschluss von Schröder/Müntefering. In ihrer Strategie, das Wahl-Ergebnis zu ignorieren, bei der die Partei ebenso wenig gefragt wurde wie bei der Aufgabe der Kanzler-Option über Nacht. Die SPD hat den Zickzack-Kurs flügelübergreifend bis zur Selbstverleugnung mitgemacht. Mit Wasserhövel war das Maß der Zumutungen voll. Man braucht nur nachzulesen, wer sich am Wochenende im Vorfeld der Entscheidung für Müntefering stark gemacht hat: Das waren die Eichels, Stieglers und Schröders - lauter Auslaufmodelle. So hat sich eine Koalition im Vorstand gefunden, die von linken Überzeugungstätern bis zu ehrgeizigen Netzwerkern geht, flankiert von persönlich Frustrierten. Sie wollte die alte Generation loswerden, aber sie hat keine gemeinsame Linie für die zukünftige Politik. Die wichtigen Entscheidungen werden jetzt erst fallen. Setzt die SPD weiter auf eine große Koalition und bleibt Müntefering im Regierungsteam, könnte der neue Vorsitzende Kurt Beck heißen. Fraglos ein Integrationsfaktor, ohne große Zukunftsperspektive - eine solide Übergangslösung. Will die SPD weitere Koalitions-Optionen eröffnen und zügig ein neues Personaltableau aufbauen, sind Platzeck oder Wowereit am Brett. Prognosen wären Kaffeesatzleserei. Aber wenn zu der durch interne Querelen geschwächten CDU-Kanzlerin noch ein wackelnder, kopfloser Koalitionspartner kommt, erhöht das mitnichten das Vertrauen in eine von ihnen geführte Regierung. d.lintz@volksfreund.de

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