Umstritten, aber wichtig

Große Fehler habe er gemacht, sich aber auch große Verdienste erworben. Der das über den toten Boris Jelzin sagt, weiß wie kein Zweiter, wovon er spricht. Michael Gorbatschow hat am eigenen Leib erfahren, wozu dieser Egomane fähig war.

Auf einem Panzer stehend hielt Jelzin Putschisten auf, rettete wohl Gorbatschows Kopf, nur um ihn wenig später in einer entwürdigenden Zeremonie kalt lächelnd abzuservieren und mit ihm gleich die ganze Sowjetunion in die Geschichtsbücher zu verbannen.Boris Jelzin war privat wie politisch ein Mann der Extreme. Peinliche Auftritte auf internationalem Parkett gab es zuhauf, der betrunkene, lallende, desorientierte Boris Jelzin war ein vertrautes Bild in den Wohnzimmern der Welt. Manch einem wurde ganz mulmig bei der Vorstellung, dass dieser alkoholkranke Mann Herr über ein immer noch beachtliches Arsenal an atomaren Lang- und Mittelstreckenwaffen war. Und dass der Mann keine Skrupel hatte, seine Truppen rücksichtslos einzusetzen, bewies er mit dem ersten Tschetschenien-Krieg. Die kleine Kaukasus-Republik strebte nach Unabhängigkeit von der Russischen Föderation. Jelzin ließ die Armee marschieren und machte alle Hoffnungen auf Freiheit brutal zunichte. Zweifellos war dies der moralische Tiefpunkt seiner Präsidentschaft.Trotz dieser offensichtlichen Brutalität gegen das kleine Land im Kaukasus hielt der Westen stets zu Jelzin. Helmut Kohl nannte ihn einen guten Freund, mit den Franzosen stand er auf gutem Fuß und konnte ebenso gut mit den Amerikanern. Dabei reformierte Boris Jelzin Russland nicht wirklich, stärkte stattdessen Geheimdienst und Innenministerium, wirkliche Demokratie war seine Sache nicht. Der wichtigste Grund dafür, dass der Westen in Tschetschenien ebenso wegsah, wie bei der Verfolgung innenpolitischer Gegner, waren Jelzins Wirtschaftsreformen. Sie galten als Schritte in Richtung Marktwirtschaft, als deutliche Annäherung an westliche Werte und internationale Gepflogenheiten. Doch Jelzins viel gepriesene Reformen führten auch zu einer beispiellosen Plünderung russischen Staatseigentums. Eine kleine Oberschicht wurde unermesslich reich, so genannte Oligarchen übernahmen quasi alle relevanten Wirtschaftsbereiche und diktierten fortan fast nach Belieben den weiteren Gang der Entwicklung. Unter den Folgen leidet die russische Bevölkerung bis heute.Das Fazit der Ära Jelzin lautet deshalb: Boris Jelzin war in instabilen Zeiten außenpolitisch ein verlässlicher Partner für den Westen und innenpolitisch ohne Alternative. Er war wichtig, aber zu Recht auch Zeit seines Lebens umstritten. d.schwickerath@volksfreund.de

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