Unbefriedigender Weg

Prozesse wie der gegen Dieter Gieseking und Ilja S. hinterlassen einen schalen Nachgeschmack. Für diejenigen, die ein Zeichen setzen wollen gegen Kindesmissbrauch, erscheinen die Strafen, die dabei in der Regel herauskommen, geradezu bagatellhaft.

Wem aber die Freiheit des Wortes das höchste Gut ist, der wird sich mit einer Verurteilung auf derart dünner Basis nur schwerlich anfreunden können. Das hängt damit zusammen, dass die Trennschärfe zwischen (strafbarer) Pornographie und (strafloser) Geschmacklosigkeit im Bereich geschriebener Texte fehlt. Was noch vor dreißig Jahren als Porno galt, ist heute Literatur, und Begriffe, deren öffentlicher Gebrauch früher als unerträglich empfunden worden wäre, sind längst in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Bei Bildern ist die Sache klar, schon zum Schutz der wehrlosen Kinder, die missbraucht werden, um sie herzustellen. Aber eine abartige Phantasie zu Papier zu bringen oder ins Netz zu stellen, ist in einem liberalen Rechtsstaat nicht zwangsläufig und in jedem Fall strafbar. Andererseits sind die Aktivitäten von Gieseking und Co. unbestreitbar der Versuch, im Grenzbereich der Legalität für Pädophilie zu werben, möglichst so geschickt, dass es schwer fällt, der Sache juristisch beizukommen. Schwer erträglich für einen Strafverfolger, der die Folgen von Kindesmissbrauch in seiner täglichen Arbeit erleben muss. So dreht man denn den Tatbestand mit sichtlicher Mühe so hin, dass am Schluss irgend etwas herauskommt, für das man eine Verurteilung erzielen kann. Diese Mühe war im Gieseking-Prozess deutlich spürbar - ein befriedigender Weg zur Rechtsfindung sieht anders aus. In anderen Bereichen hat der Gesetzgeber klare Verhältnisse geschaffen: Bei der Auschwitz-Lüge etwa reicht die öffentliche Äußerung aus, um sich strafbar zu machen. Die Trennlinie ist eindeutig gezogen. Würde der Gesetzgeber bei der Werbung für Pädophilie durch neue, exakte Strafvorschriften ähnlich für Klarheit sorgen, wäre allen gedient: Den Juristen, die kein "Umfeld" heranziehen müssten, um die Basis für eine Ahndung der Tat zu schaffen; den potenziellen Tätern, die genau wüssten, ab welcher Schwelle die Gesellschaft mit Strafe droht; und vor allem den möglichen Opfern, für die der Schutzwall nicht hoch genug sein kann. d.lintz@volksfreund.de

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