Vertagt, verpufft, verwässert

Von einem "großen Wurf" war die Rede, von "neuer Identität", vom längst fälligen "Sprung ins 21. Jahrhundert". Mit gewaltigem Tamtam kündigten die in Ehren ergrauten Vereinten Nationen zum 60. Geburtstag ihre Runderneuerung an.

Von einem "großen Wurf" war die Rede, von "neuer Identität", vom längst fälligen "Sprung ins 21. Jahrhundert". Mit gewaltigem Tamtam kündigten die in Ehren ergrauten Vereinten Nationen zum 60. Geburtstag ihre Runderneuerung an. Die Uno-Strategen planten, den Staub wegzupusten, das Vertrauen der Weltgemeinschaft in die Organisation zu stärken und die schleichende Demontage zu stoppen.Ziel verfehlt: Wenn Präsidenten und Regierungschefs, Monarchen und Minister aus mehr als 170 Ländern sich heute zum Gipfel in New York einfinden, droht - wie so oft - ein trostloses Palaver. In salbungsvollem Wortgeklingel werden die Staatenlenker ihren unerschütterlichen Glauben an die hehren Ideale der Völkergemeinschaft kundtun. Zu einem Neuanfang aber reicht es nicht. Selters statt Sekt. Die Party fällt aus. Zurück bleibt ein müder, zahnloser Tiger, der gerade noch als Trophäe für Großwildjäger wie George W. Bush herhalten mag.

Der US-Präsident gilt als schärfster Widersacher der Vereinten Nationen. Den Irak-Krieg zettelte er im Alleingang an, und auch künftig will er freie Hand bei der Entscheidung, wo und wann US-Soldaten militärisch eingreifen. Konkrete Verpflichtungen und eine starke Uno stören dabei nur. Dem selbst ernannten Weltpolizisten spielt in die Hände, dass die Vereinten Nationen eine Reihe von Skandalen aufzuarbeiten haben - von sexuellen Übergriffen bei Blauhelm-Einsätzen bis zu Korruptionsvorwürfen beim "Öl-für-Lebensmittel"-Programm. Bushs klammheimliche Freude: Uno-Generalsekretär Kofi Annan ist erst einmal damit beschäftigt, den eigenen Laden aufzuräumen.

Substanzielle Reformen? Fehlanzeige. Die Vergrößerung des Sicherheitsrates, diesem Allerheiligsten der Macht, zu dem sich Deutschland so gerne Zutritt verschaffen möchte? Vertagt. Die Rolle der Vereinten Nationen in der Friedenssicherung, im Kampf gegen den Terror, gegen Armut und Krankheiten in der Dritten Welt? Unklar. Der dringend notwendige Umbau des Bürokratie-Molochs, moderne Management-Strukturen? Verpufft.

Der "große Wurf" lässt sich nicht zwingen, die Dinge werden hin und her gewendet, verhandelt, zerredet, gefleddert, verwässert, blockiert. Am Ende steht ein Kompromiss, der kleinste gemeinsame Nenner. Und es gilt einmal mehr das Wort des irischen Dichters George Bernard Shaw: "Hätte man bei der Erschaffung der Welt eine Kommission eingesetzt, dann wäre sie heute noch nicht fertig."

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