Vertane Chancen

Wenn irgendwann Militärhistoriker damit beginnen, eine Bilanz der Kriege George W. Bushs in Afghanistan und im Irak zu ziehen, werden sie - abseits der Debatte um die Zulässigkeit des gewaltsamen Sturzes von Saddam Husseins Regime - zwei der krassesten Fehleinschätzungen der US-Regierung nicht übersehen können.

In Afghanistan war dies zweifelsohne die Entscheidung, die Jagd nach Osama bin Laden in den Höhlen und der zerklüfteten Bergwelt von Tora Bora zunächst nur halbherzig,mit zu wenig Truppen begonnen und dann diese als "schmutzig” - weil mit hohen Gefahren verbundene - Arbeit den Verbündeten der Nordallianz übertragen zu haben. Die Folgen sind bekannt: Der El Kaida-Anführer entkam aus einer der Höhlen und zieht weiter unbehindert die Fäden des weltweit aktiven Terrornetzes. Ein ähnliches Defizit an Planung, aber auch Entschlossenheit und Konsequenz zeigt sich angesichts des Dramas um die Stadt Nadschaf und den schiitischen Rädelsführer Muktada al Sadr. Hier wird einmal mehr klar, dass es keinen Sinn macht, bestimmte unausweichliche Notwendigkeiten aufzuschieben. Der militante Hassprediger spielt seit Monaten mit den US-Verantwortlichen und nun auch mit den Repräsentanten der irakischen Übergangsregierung Katz und Maus. Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Eine freiwillige Entwaffnung seiner extremistischen Mitkämpfer wird es nicht geben, weil im Irak vor allem Waffen Macht bedeuten. Nun, nach der Machtübergabe, sollen die Truppen des "neuen” Irak diesen gordischen Knoten zerschlagen. Dies wird aber in der Realität nur gelingen, wenn am Ende Iraker bereit sind, auf Iraker zu schießen. Doch ist Iraks Ministerpräsident Allawi zu einem solchen Schritt bereit? Vermutlich nicht. Muktada al Sadr dürfte deshalb für lange Zeit ein großer Stachel im Fleisch jener bleiben, die von einem demokratischen wie stabilen Irak träumen. nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort