Voll digital

Schöne neue Welt? Der Mensch besteht nur noch aus digitalisierten Einzelteilen: Überwachungskameras erfassen in Sekundenbruchteilen, ob das eben aufgenommene Gesicht in einer Verbrecherkartei steht; bei der Flughafenkontrolle haben die Beamten mit dem Reisepass Zugriff auf die voll digitalisierten Personalien und wissen von der Schuhgröße bis zur Augenfarbe alles; ein Computer erkennt, ob die vor den Scanner gehaltenen Augen zum Besitzer der Jahreskarte für den Zoo gehören; ohne seine persönliche Identifikationsnummer kommt man nicht mehr weiter, bekommt kein Geld mehr, kann nicht mehr zum Arzt gehen; der Fingerabdruck wird zum Zahlungsmittel und öffnet die Türen zum Arbeitsplatz.

Zukunftsvision? Nein. In weiten Teilen längst Realität. Und das mit allen Konsequenzen. Abgesehen von dem unbestreitbaren Komfort, der hinter dem sich rasant verbreitenden Verfahren des Zahlens mit dem Fingerabdruck steckt - man braucht keinen Geldbeutel mehr, das Vergessen der Geheimzahl ist kein Problem mehr, und es geht schneller - verbirgt sich dahinter auch ein Risiko. Der Mensch wird immer durchsichtiger. Jeder seiner Schritte wird nachvollziehbar. Wann war er am Bahnhof und wurde von den Überwachungskameras erfasst? Wann hat er das Büro verlassen? Welche Krankheiten hat er? Was kauft er wo ein? Wie viel Geld gibt er aus? Banken, Geschäfte, Krankenkassen oder Marktforscher können genaue Profile von den Bürgern erstellen, leichter als das bereits heute der Fall ist. Der gläserne Bürger - er ist längst Wirklichkeit geworden. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man die neuen technologischen Möglichkeiten gutheißt. Genauso wie die Gegner sich klar machen müssen, dass sie die Entwicklung nicht mehr aufhalten können. Daten- und Verbraucherschützer können - falls auf sie gehört wird - nur noch groben Missbrauch verhindern, aber stoppen können sie die Technik nicht mehr. Aber muss alles, was technisch machbar ist, auch umgesetzt werden? Ist jede technologische Neuerung auch gleichzeitig zukunftsweisend? Ja, lautet die Antwort in einer immer technikgläubiger werdenden Gesellschaft wie unserer. In ein, zwei Generationen wird das Bezahlen mit dem Fingerabdruck genauso selbstverständlich sein wie heute das Zücken der EC- oder Kreditkarte an der Supermarkt-Kasse. Schöne neue Welt? b.wientjes@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort