Vom Falken zur Taube

Zeitenwende im Nahen Osten: Vor etwas mehr als einem Jahr starb Jassir Arafat, nun endet die politische Ära Ariel Scharon. Zwei Männer, das gleiche Schicksal. Sie waren die markantesten Widersacher im blutigen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis.

Misstrauisch, unversöhnlich, sich abgrundtief hassend und doch aneinander gefesselt mit einem unlösbar verknoteten Seil. Symbolfiguren, geprägt vom ewigen Kampf ums Überleben. Jahrzehntelang Erzfeinde und Kraftmeier. Auf ihre alten Tage zu Realpolitikern mutiert - und plötzlich bemüht, das Kriegsbeil zu begraben. Beiden blieb dieses Ziel verwehrt. Eine seltsame Ironie der Geschichte. Ariel Scharon, der Untergrundkämpfer, General, Verteidigungsminister und Premier, liebte den Frontalangriff. Meist rücksichtslos, brutal und unbelastet von jeglicher Moral. Wie ein Bulldozer (so sein Spitzname) räumte der Held mehrerer Kriege Hindernisse aus dem Weg; eher hinterließ er Schutt und Asche, als von seinem Weg abzuweichen. Ein raubauziger Rambo, der mit Feuer und Schwert Politik machte - und nicht mit Räucherstäbchen. Meist zog er den Dolch der Diplomatie vor. Erst als sein Gegenspieler, der nicht minder sture Jassir Arafat, abtrat, wandelte sich Scharon: vom angriffslustigen Falken zur (Friedens-)Taube. Altersweise und -milde, bekannte er sich zur so genannten Roadmap - mit dem Ziel, einen Palästinenserstaat zu schaffen. Er meinte es ernst, und das bewies er mit einigen Paukenschlägen. So setzte der einst eisenharte Erfinder der Siedlungspolitik den Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen durch. Und kehrte seiner politischen Heimat, dem rechten Likud, den Rücken, um eine gemäßigte Partei der Mitte zu gründen: Kadima, was so viel wie "Vorwärts" heißt. Bewusst zertrümmerte der Stratege Scharon die Parteienlandschaft Israels - um einen Neuanfang zu wagen. Als Favorit der bevorstehenden Parlamentswahlen gehandelt, fehlt Kadima nun allerdings die Identifikationsfigur. Wer folgt auf Ariel Scharon? Wer ist stark genug, um den Friedensprozess voranzutreiben? Die Lage ist unübersichtlich, die Verunsicherung groß. Und statt "Vorwärts" droht "Rückwärts" - in Gestalt von Benjamin Netanjahu. Der Ex-Premier, ein Hardliner in der Palästinenserfrage, der sein Land schon einmal in die internationale Isolation trieb, wittert seine zweite Chance. Es liegt an den Israelis, durch eine kluge Wahl die zart keimende Hoffnung, die Ariel Scharon gepflanzt hat, zu hegen und zu pflegen. Der alte Bulldozer hat es allen vorgemacht: Die Zeit ist reif - für Frieden. p.reinhart@volksfreund.de

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