Vorlage für die Opposition

Berlin . Politiker der Oppositionsparteien rieben sich gestern hinter den Kulissen des Bundestagsplenums mit Blick auf die drei wichtigen Landtagswahlen am 26. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ungeniert die Hände.

Die von der schwarz-roten Koalition für den 1. Januar 2007 geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer ist bereits ein heißes Thema, aus dem sich für die drei kleinen Parteien kräftig Wahlkampf-Honig saugen lässt. Ein zweites wird jetzt die Rente mit 67 ab dem Jahr 2029, soeben von Vize-Kanzler Franz Müntefering (SPD) mit Wucht losgetreten. Beide Regierungspläne stoßen bei den meisten Menschen im Land auf heftige Ablehnung. Die gestrige aktuelle Stunde im Bundestag über die Rente mit 67 war denn auch von der Linkspartei gezielt beantragt worden. Und Fraktionschef Oskar Lafontaine ließ es sich nicht nehmen, als erster Redner in die politische Bütt zu steigen und mit einem Wortgewitter klar zu machen, dass die Rente mit 67 auf "scharfen Protest" stößt. Wer bei steigender Produktivität mit längerer Wochen- und Lebensarbeitszeit reagiere, "ist schlicht schwachsinnig", polterte der Saarländer in bekannt polemischer Manier vor allem in Richtung SPD-Fraktion. Er frage sich, ob die schwarz-rote Regierung noch wisse, "was in der Wirklichkeit des Landes überhaupt passiert". Die Koalition setze "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer doppelten Angst aus", die vor der zu erwartenden Arbeitslosigkeit und die vor der deftigen Rentenkürzung durch die Anhebung des Rentenalters. Irmingard Schewe-Gerigk, rentenpolitische Sprecherin der Grünen, haute in eine ähnlich kritische Kerbe, auch wenn sie ein höheres Renteneintrittsalter nicht grundsätzlich ablehnte. Die Koalition habe in den vergangenen Tagen zum Thema Rente "ein blankes Chaos" aufgeführt, das schlimmer gewesen sei "als das Gackern auf einem Hühnerhof". Schließlich griff sie Arbeitsminister Müntefering an einer "empfindlichen Defizitstelle" an, die auch in den Reihen der Koalition durchaus kritisch gesehen wird: "Sie tun den ersten Schritt vor dem zweiten." Erst werde lauthals eine Verlängerung des Renteneintrittsalters angekündigt. Die Grünen-Politikerin Richtung Franz Müntefering gallig: "Wie wollen sie da Vertrauen bei den Menschen schaffen?" Diese völlig falsche Vorgehensweise fördere bei den Arbeitnehmern ausschließlich den Verdacht einer "gigantischen Rentenkürzung". Auch die FDP schonte die schwarz-rote Regierung gestern nicht. Ihr sozialpolitischer Sprecher Heinrich Kolb sprach von "einer neuen Variante der Echternacher Springprozession nach dem Motto: Zwei Schritte vor und zwei zurück". Die Rentenpläne seien "großkoalitionäre und widersprüchliche Flickschusterei", bei der nichts zusammenpasse. Würden sie so umgesetzt, drohe eine neue Altersarmut. Dieses Kritikgewitter wollte Arbeitsminister Franz Müntefering nicht auf sich sitzen lassen. Den Blick Richtung Lafontaine verteidigte er seine Rentenziele mit Leidenschaft: "Propagandareden helfen hier nicht weiter." Der Rentenplan der Koalition diene langfristig der Stabilität des Systems. "Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir werden ihn so durchbuchstabieren." Die Regierung werde die bis zum Jahr 2029 angepeilte Anhebung der Rente auf 67 im Übrigen zügig mit einer "Initiative 50-plus" zur Verbesserung der Beschäftigungschancen für Ältere flankieren. Die meisten Debattenredner von Union und SPD taten sich gestern ein wenig schwer, die Rentenpolitik der Koalition offensiv zu verteidigen. Alle sagten aber klar, dass zwingend und mit Hochdruck daran gearbeitet werden müsse, neue Jobs für ältere Arbeitnehmer zu schaffen. Und alle gingen auf Oskar Lafontaines heftige Attacken ein, dem man offensichtlich zutraut, dass er und seine Linkspartei in den Landtagswahlkämpfen mit dem Renten-Thema kräftig Stimmen fischen können. In Mainz und Stuttgart geht es um die Frage, ob die Linkspartei den Einzug in den Landtag schafft. In Magdeburg, ob dort nach dem 26. März womöglich Rot-Rot statt Schwarz-Gelb regiert.

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