Warten auf Gewalt

BERLIN. Der Berliner Polizei ist mulmig zumute: Am Sonntag, wenn in Berlin mit vielen Feierlichkeiten des Kriegsendes vor 60 Jahren gedacht wird, droht eine besonders heikle Machtprobe: erwartet werden Neonazis und Mitglieder linker Gruppierungen.

Nach Schätzungen von Polizei und Verfassungsschutz werden sich am Sonntag von zehn Uhr an zwischen 2500 und 400 Neonazis auf dem Alexanderplatz versammeln, von dort aus wollen sie mit Fahnen und mit viel Lärm den Boulevard "Unter den Linden" entlang marschieren. Enden soll die braune Demonstration, die von der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" organisiert wird, am Bahnhof Friedrichstraße, nur etwa 650 Meter vom Brandenburger Tor entfernt. Mindestens acht linke Gruppen haben Gegenkundgebungen angesagt, wollen diesen rechten Spuk auf jeden Fall vereiteln. Notfalls gewaltsam, wie es in einigen Erklärungen aus der Szene heißt. Der Sprecher des Bündnisses "Spasibo - wir sagen danke" kündigte an, man wolle den gesamten Alexanderplatz so umstellen, dass sich der Zug der Neonazis erst gar nicht in Bewegung setzen könne. Auf dem ,,Alex" selbst haben antifaschistische Gruppen aus ganz Deutschland, die Polizei rechnet da mit etwa 8000 Teilnehmern, große Sitzblockaden geplant. Nach den blutigen Krawallen am 1. Mai in Worms und Leipzig, wo sich Neonazis und linke Gruppen blutige Straßenschlachten geliefert hatten, rechnet die Gewerkschaft der Polizei deshalb am Sonntag in Berlin "mit einer neuen Spirale der Gewalt". "Die rechte Szene tritt immer ungenierter auf und bringt auch immer mehr Anhänger auf die Straße", so der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg. Außerdem wachse die Bereitschaft, auf Gegendemonstrationen mit Gewalt zu reagieren. Bundesverfassungsgericht weist NPD-Antrag ab

Ursprünglich hatten die Neonazis am neuen Holocaust-Mahnmal vorbei direkt zum Brandenburger Tor marschieren wollen. Diese symbolträchtige Strecke hatte aber das Berliner Oberverwaltungsgericht vor allem mit Blick auf das neue Versammlungsrecht untersagt. Auch ein von der NPD-Jugendorganisation beabsichtigter Schweigemarsch an der Gedenkstätte vorbei zum Brandenburger Tor würde eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft darstellen, so die Richter in ihrem Ablehnungsbeschluss. Das ergebe sich bereits aus dem Veranstaltungsmotto der rechten Szene ,"60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult!" im Zusammenwirken mit Zeit und Ort der beabsichtigten NPD-Veranstaltung. Schon der Begriff ,,Befreiungslüge" enthalte eine grobe Verharmlosung des Nationalsozialismus und dessen Folgen für das europäische Judentum. Die rechtsextreme NPD scheiterte am Freitag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit ihrer Beschwerde gegen das Urteil. Es bleibt dabei: Die NPD darf am 8. Mai nicht am Holocaust-Mahnmal vorbei zum Brandenburger Tor marschieren. Für Samstag und vor Sonntag haben der Berliner Senat und ein breites Bündnis von Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Kirchen zu einem "Tag der Demokratie" am Brandenburger Tor eingeladen. Ziel ist es, ein "Zeichen gegen Rechts" zu setzen, so Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Der evangelische Bischof Wolfgang Huber wird an der 33 Kilometer langen Lichterkette teilnehmen, die unter dem Motto "Nie wieder Krieg, nie wieder Rechtsradikalismus, nie wieder Rassismus" am Samstagabend von Spandau durchs Brandenburger Tor bis Marzahn quer durch Berlin gehen soll. Insgesamt werden Zehntausende zu den Feiern erwartet, darunter auch Prominente wie Boris Becker, Udo Lindenberg, Jeanette Biedermann, Marcel Reich-Ranicki und die Gruppe "Die Prinzen".

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