Welt am Zaun

Der Zaun von Heiligendamm ist gestern geschlossen worden, die Show kann beginnen. Alles ist mit deutscher Gründlichkeit vorbereitet, von der Regierung, von der Polizei und von den Demonstranten. Alle wollen ihr Bild, denn um Bilder geht es vor allem.

Die Staatschefs werden Harmonie und Weltverantwortung demonstrieren, ohne beides zu haben. Die Radikalen unter den Gipfel-Gegnern träumen von Wasserwerfer-Szenen am Sperrwerk, um wahlweise den Staat, die Mächtigen oder die Globalisierung schlechthin ins Unrecht zu setzen. Welt-Wirtschaftsgipfel ist ein anmaßender Titel für einen Klub, in dem China und Indien nur als Gäste geduldet sind. Der Alleinvertretungsanspruch der alten Industrienationen wird Jahr für Jahr fragwürdiger.In Heiligendamm ist das so offensichtlich wie nie zuvor. Aus Wachstum solle Verantwortung erwachsen, so die Losung des Treffens. Verantwortung könnte heißen, der Welt freiwillig mit gutem Beispiel voranzugehen. Mit gemeinsamen Klimazielen etwa. Mit dem Versprechen, Zölle und Subventionen im Agrarsektor abzubauen. Mit einer wirksamen Afrika-Strategie. Doch die Einzelinteressen sind zu stark. Sie behaupten, gleichen Geistes Kind zu sein. Kinder der Demokratie, des freien Welthandels und der Gerechtigkeit. Die Legitimität des Treffens würde darin liegen, solche Werte in gemeinsame praktische Politik umzusetzen. Aber genau das gelingt kaum. Und dort, wo die G8-Beschlüsse bisher konkreter waren, etwa beim Ausbau der Entwicklungshilfe, hinken die Taten den Worten regelmäßig hinterher. Schon wird diskutiert, ob die G8-Treffen künftig nicht besser auf einer Insel stattfänden. Oder auf der Zugspitze.

Aber nicht der Ort ist das Problem, sondern das Format. Gerade Angela Merkel, die bisher international so erfreulich unkonventionell aufgetreten ist, dürfte in Heiligendamm Fragen stellen: Haben wir acht noch eine Legitimation in einer multipolaren Welt? Wie können wir repräsentativer werden? Wie können wir aus einer Show wieder einen echten Dialog machen, der die Dinge wenigstens unter uns etwas voranbringt? Bisher hat Angela Merkel jedoch nicht vor, diese Themen anzusprechen. Sie will gute Stimmung schaffen und sie nicht stören. Welche Stimmung? In New York, am East River, gibt es ein Gebäude, in dem man sich jederzeit versammeln kann, kostenfrei und ohne Sicherheitsprobleme, und das noch dazu den Vorteil hat, alle Staaten der Welt zu repräsentieren: die Uno.

 Werner Kolhoff.

Werner Kolhoff.

Foto: Iris Maurer
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