Wenn das Haus brennt

Einen Tag lang haben Dutzende von Experten, Interessenvertretern und Abgeordneten bei einer Anhörung im Bundestag die Vorzüge und Nachteile des Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) diskutiert. Mit Ernst und Eifer, aber ohne Einfluss auf die Meinung der jeweiligen Parteien, die sich bereits verfestigt hat.

Auch deshalb lässt sich fragen, ob dieser Austausch der Argumente nicht ein paar Wochen zu spät kommt, denn der Gesetzentwurf ist längst im Parlament eingebracht. Noch wichtiger ist indes die Frage, ob das Gesetz in der vorliegenden Form überhaupt nötig ist. Diesbezügliche Zweifel sind angebracht. Die rot-grüne Koalition hätte eigentlich Dringlicheres zu tun. Es geht um die Prioritätensetzung. Wenn ein Haus brennt, kommt wohl niemand auf die Idee, den Vorgarten zu pflegen - er muss löschen, nichts als löschen. SPD und Grüne scheinen noch nicht begriffen zu haben, in welchem Stadium der Krise sich das Land mit seinen fünf plus x Millionen Arbeitslosen befindet. Unermüdlich werkeln sie am Ideal einer sozial gerechten, multikulturellen Welt. Gewiss ist es erstrebenswert, jedweder Benachteiligung von Frauen, Alten, Ausländern oder Behinderten Einhalt zu gebieten. Doch wenn dieser paradiesisch anmutende Ansatz noch mehr Bürokratie und Gerichtsverfahren produziert, stellt sich die Frage nach dem Sinn und der Verhältnismäßigkeit. Der menschliche Umgang gestaltet sich noch schwieriger, wenn nicht mehr das gesellschaftliche Korrektiv Diskriminierungen eindämmt, sondern erst die juristische Klärung. Doch ist Toleranz, die vor Gericht erstritten wird, echte Toleranz? Und was nützt gesetzlich verordneter Respekt vor dem Mitmenschen, wenn etwa ein Arbeitsloser seiner eigenen Würde nicht mehr gerecht werden kann? Arbeitslosigkeit ist die schlimmste Form der Diskriminierung. Weil sie den Menschen in jeder Hinsicht benachteiligt, ihn der "Teilhabe" am sozialen Leben beraubt. Der Arbeitslose verliert oftmals die gesellschaftliche Akzeptanz und sein Selbstbewusstsein. Er wird zunehmend fremdbestimmt, ist nicht mehr Herr seiner selbst. Wer es ernst meint mit dem hehren Anspruch, die diskriminierenden Momente in der Gesellschaft auszumerzen, müsste also in erster Linie an diesem Punkt ansetzen. Doch SPD und Grüne, vor allem die Grünen, vergeuden ihre Energie in starkem Maße mit zwar wichtigen, aber nicht erstrangigen Projekten. Sie wollen permanent die Kür machen, anstatt sich auf die Pflicht zu konzentrieren. Gewiss müssen die EU-Richtlinien umgesetzt werden, aber nicht mit teutonischer Regelungswut. Allemal besser wäre es, die Koalition würde ihre Kraft und Konzentration darauf verwenden, erst mal das Kernübel zu beseitigen: die Arbeitslosigkeit. Doch wo bleibt die radikale Steuervereinfachung, wo die Senkung der Lohnnebenkosten? Warum wird die Reform der Pflegeversicherung aufgeschoben, weshalb die Bürgerversicherung verzögert, wenn sie denn angeblich so segensreich ist? Gewiss, auch gesellschaftspolitische Initiativen sind notwendig. Aber sie sind angesichts des Problembergs, vor dem wir stehen, nicht erstrangig. Wer im Sumpf steckt, darf nicht an die Kleiderordnung denken. Er muss vielmehr alles daran setzen, um schleunigst aus dem Schlamassel heraus zu kommen. nachrichten.red@volksfreund.de

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