Wer füllt die Urne?

BERLIN. (has) Immer mehr Politiker plädieren für eine Volksbefragung zur EU-Verfassung - aber noch wehrt sich die große Koalition der Nein-Sager. Die Gegner der Gegner machen mobil.

"Willy Brandt wäre für ein Referendum gewesen", ist sich Axel Schäfer sicher. 1983 leitete der heutige Bundestagsabgeordnete das Europa-Büro beim SPD-Vorstand, und der Parteivorsitzende, dem der Bochumer damals diente, hieß Willy Brandt. Daher Schäfers Gewissheit. An Brandt soll sich Franz Müntefering nun ein Beispiel nehmen: In einem Brief forderte Schäfer jetzt den SPD-Chef auf, "etwas Mut" zu beweisen und den Weg für eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung frei zu machen. Schäfer ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich die große Koalition aus Referendumsgegnern - Müntefering, Schröder, Fischer und Merkel - langsam aber sicher warm anziehen muss. Die Zahl der Befürworter, zu denen auch CSU-Chef Edmund Stoiber und der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle zählen, erhöht den Druck. Vor allem aber steigt die Zahl derer, die offenbar der Führungsriege in dieser Frage nicht mehr unbedingt folgen will. Neben Schäfer hätten eine ganze Reihe von SPD-Bundestagsabgeordneten das Thema am liebsten auf die Tagesordnung der Fraktionsklausur Ende September gesetzt. Darüber hinaus haben sich schon fünf führende SPD-Landespolitiker für eine Volksbefragung ausgesprochen. Darunter der Saarländer Heiko Maas, der Niedersachse Sigmar Gabriel und der Thüringer Chri-stoph Matschie. Noch halten sich Müntefering und Schröder aber kräftig die Ohren zu. Auch in der CDU bröckelt die Unterstützung für das Nein der Vorsitzenden Angela Merkel. Ein Beispiel ist Saarlands Ministerpräsident Peter Müller. Immer mehr Länder in der EU, darunter Frankreich, Spanien, Polen und Großbritannien, bitten ihr Volk zu den Urnen. Die Menschen dort seien "sicherlich nicht klüger und nicht dümmer als die Deutschen", glaubt Müller deshalb. CSU-Chef Stoiber steht an seiner Seite und ist ebenso für die Volksbefragung zur EU-Verfassung. Weitergehende Referenden lehnt er allerdings ab. Der innenpolitische Druck auf die Front der Nein-Sager wächst also. Allerdings gibt es noch keine Anzeichen dafür, dass sich die Koalition der Ablehnenden davon beeindrucken lassen würde. Zu stark wiegt die Sorge, ein Urnengang könnte die EU beschädigen, die Europagegner mobilisieren oder gar ohne Resonanz bleiben. Oder - noch schlimmer - dazu genutzt werden, den Regierenden und der Politik insgesamt neue Denkzettel zu verpassen. Rot-Grün will im Herbst eine Neuauflage des Gesetzentwurfs für mehr bundesweite Volksbefragungen vorlegen. Den Befürwortern des EU-Referendums, so die Strategie, soll damit der Wind aus den Segeln genommen werden. "Ich bin gespannt, ob es die verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit gibt", richtet Außenminister Fischer seine Blicke auf die Opposition. 2002 scheiterte die Koalition bei ihrem ersten Versuch, die Verfassung zu ändern.

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