Willkommen in der Wirklichkeit

Die Bundeswehr ist angekommen in der Normalität: Im Krisengebiet Libanon gerät sie auf Konfrontationskurs mit Israel. Aus Afghanistan tauchen Fotos auf, die junge Soldaten der Bundeswehr bei Totenschändungen zeigen.

Verwunderlich ist die große Aufgeregtheit, mit der die Berliner Politiker diese Vorfälle registrieren. Als seien sie davon völlig überrascht worden. Dabei operiert die deutsche Armee seit Jahren weltweit - mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Rund 200 000 Soldaten waren schon im Auslandseinsatz, 9000 sind es allein zurzeit auf drei Kontinenten. Die Regierungen Kohl, Schröder und Merkel haben die eher beschauliche Armee zur Landesverteidigung in eine Kampftruppe zur Durchsetzung deutscher Interessen in aller Welt verwandelt. Dass es bei Einsätzen in Krisengebieten Tote gibt, dass schwarze Schafe unter den Soldaten mit Totenschändungen durch Gedankenlosigkeit sich selbst, ihre Kameraden und die ganze Truppe in Verruf und Gefahr bringen, dass deutsche Soldaten bei aller historischen Belastung eines Tages sogar womöglich auf Israelis schießen werden, - wer kann sich darüber ernsthaft wundern? Die Einsätze, ihre Zahl und ihre Auswahl sind politisch gewollt. Und die mangelnden Fähigkeiten einzelner Soldaten sind letztlich politisch verschuldet. Denn drei Regierungen haben es bisher nicht geschafft, Anspruch (weltweite Einsätze) und Wirklichkeit (Ausrüstung und Ausbildung der Armee) auch nur anzunähern. Seit Jahren wiederholen sich die Analysen zu miserablem oder komplett fehlendem Material, zu wenig und schlecht ausgebildetem Personal, überforderten und seelisch stark belasteten Soldaten in den Berichten der Wehrbeauftragten des Bundestages. Offenbar Papiere, die selbst von den direkt Verantwortlichen kaum gelesen werden. Verteidigungsminister Franz-Josef Jung jedenfalls will ernsthaft in seinem Weißbuch der Truppe auch noch den Einsatz im Innern aufhalsen. Statt damit die Überlastung auf die Spitze zu treiben, sollte er endlich nachholen, was längst überfällig ist: die Bundeswehr einsatzfähig zu machen für die Normalität. m.schmitz@volksfreund.de

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