Wölfe mit und ohne Schafspelz

Es waren schlimme Fernsehbilder, die Ende August 1992 nicht nur in deutschen Wohnzimmern zu sehen waren: Im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen hatten randalierende rechtsradikale Jugendliche eine Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber angegriffen und mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt.

Während im Inneren die Bewohner um ihr Leben bangten, johlte draußen der rechte Mob, angefeuert noch von zahllosen Schaulustigen. Rostock, Hoyerswerda und später Solingen oder Lübeck wurden in den 90er-Jahren zu Synonymen für das Wiederaufflammen von Fremdenhass und rechtsradikaler Gewalt in Deutschland. Bilder, die so gottlob in den letzten Jahren nicht mehr zu sehen waren. Gut so, aber beileibe kein Grund zur Entwarnung. Denn an der Gewalttätigkeit und dem hohen Aggressionspotenzial der rechtsextremen Szene hat sich nichts geändert. Ein Blick in den aktuellen Verfassungsschutzbericht spricht da Bände. Danach ist die Zahl der gewaltbereiten Rechtsradikalen auch im letzten Jahr weiter gestiegen - auf 10 400 bundesweit. Zu glauben, dass diese Skinheads und Neonazis nur in Potsdam oder in anderen ostdeutschen Regionen brutal zuschlagen oder "national befreite Zonen" ausrufen, wäre ein Irrtum. Erst vor gut einem Jahr überfielen im rheinland-pfälzischen Kreis Altenkirchen mit Sturmhauben und Schlagstöcken bewaffnete Mitglieder der rechtsradikalen "Kameradschaft Westerwald" Besucher eines Rockkonzerts. Und in der Region Trier? Da geben sich die radikalen Rechten bis dato noch meist als Wölfe in Schafspelzen, ziehen - wie im letzten Juli in Trier - gegen Hartz IV oder Atomwaffen zu Felde, machen - wie jüngst im Landtagswahlkampf an der Mosel - Front gegen Kunstwein aus Amerika oder ködern mit an Schulen verteilten Gratis-Musik-CDs den Nachwuchs. Klingt harmlos, ist es aber nicht. Denn dahinter steckt die gleiche menschenverachtende Ideologie wie bei jenen, die Andersdenkende oder Farbige fast zu Tode prügeln. r.seydewitz@volksfreund.de

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