Wolf im Schafspelz

Kein Zweifel: Alle Signale stehen derzeit auf Versöhnungs-Kurs. Wenn heute US-Außenministerin Condoleezza Rice in Berlin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammentrifft, dürfte dieser noch einmal von Angesicht zu Angesicht erfahren, was US-Präsident Bush schon in seiner bemerkenswert sanften Rede zur Lage der Nation und im Überraschungs-Treffen mit Innenminister Otto Schily umrissen hat: Der Texaner will in seiner zweiten Amtszeit wieder stärker auf Wandel durch breite Koalitionen setzen.

Dazu wird auch die Hand erneut in Richtung Berlin und Paris ausgestreckt. Doch selbstlos ist dies natürlich nicht. Nur wenn das Demokratisierungs-Projekt im Irak gelingt, kann Bush glaubwürdig seine "Ich befreie die Welt von Tyrannen"-Politik fortsetzen, die nach der vergeblichen Suche nach Massen-Vernichtungswaffen nun den Mittelpunkt der Bush-Agenda bildet. Quertreiber, Stänkerer und unwillige Helfer in Europa kommen dem US-Präsidenten dabei ungelegen. Und der guten Stimmung zuliebe will sich Bush sogar wieder stärker im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern engagieren. Für die Europäer bietet dieser Annäherungskurs die Chance, erneut und nachdrücklich die Bedenken zu formulieren, die nach Bushs Säbelrassel gegenüber dem Regime in Teheran entstanden sind. Grundsätzlich jedoch erscheint eine zweigleisige Strategie, also eine Kombination von Diplomatie und Drohungen, nicht unbedingt von vornherein zum Scheitern verurteilt gegenüber einer Regierung, die in der Vergangenheit mit der Einhaltung ihrer Zusagen nicht immer ein Musterknabe war. Ohnehin drängt sich mittlerweile angesichts der internen Beschwichtigungen aus Washington gegenüber europäischen Regierungen der Eindruck auf, dass Bush hier bewusst ein "bad cop, good cop" ("schlechter Polizist, guter Polizist")-Klima geschaffen hat, weil er sich davon größtmöglichen Druck auf den Iran verspricht und glaubt, einen weiteren Waffengang vermeiden zu können. Denn populär wäre dieser angesichts des Blutzolls im Irak auch im eigenen Land nicht. So zeigt sich Bush derzeit als Wolf im Schafspelz - mit der niemals ausgeschlossenen Option, notfalls sich jederzeit des Schafspelzes wieder zu entledigen. nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort