Zahnloser Papiertiger

BERLIN. (vet) Ein Papiertiger, den niemand so richtig leiden kann: Heute verabschiedet der Bundestag mit rot-grüner Mehrheit das Gesetz zur Ausbildungsplatz-Abgabe.

Am heutigen Freitag geht ein Kuriosum über die politische Bühne: Mit seiner rot-grünen Mehrheit wird der Bundestag das hoch umstrittene Gesetz zur Lehrstellenabgabe verabschieden. Doch die allermeisten Koalitionsabgeordneten hoffen, dass es niemals zur Anwendung kommt. Dafür wurde auch viel getan: "Wir haben entschärft, was nur entschärft werden konnte", befindet ein SPD-Parlamentarier. Der Ruf nach einer Strafabgabe gegen den Lehrstellenmangel hallt schon seit Jahren durch den politischen Raum. Aber niemand getraute sich, das heiße Eisen wirklich anzupacken. Dann wurde Franz Müntefering SPD-Chef und zum begeisterten Vollstrecker der alten Idee. Derweil entfachten Wirtschaftsverbände und Oppositionsparteien einen Proteststurm, der auch viele wohlmeinende Genossen schwanken ließ. Als dann auch noch eine Expertenanhörung vernichtend ausfiel, ging es nur noch um politische Gesichtswahrung. Mit dem schon erwähnten Ausbildungspakt glaubt Müntefering nun, das passende Rezept dafür gefunden zu haben. Der Begriff geht auf den Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Georg Ludwig Braun, zurück. Ende April regte Braun weit gehende Zusagen für die freiwillige Schaffung von Lehrstellen an, wenn die Regierung im Gegenzug auf ein Gesetz verzichtet. Damit kann Müntefering zwar nicht dienen, aber der Gedanke eines Paktes wird darin jetzt so verarbeitet, dass die Strafabgabe eigentlich nur noch ein Papiertiger ist. Nach der ursprünglichen Fassung sollten die Betriebe zur Kasse gebeten werden, wenn am 30. September eines Jahres die Zahl der freien Ausbildungsplätze die Zahl der unversorgten Bewerber nicht um mindestens 15 Prozent übersteigt. Eine weitere Bedingung: "Kurzfristig" zeichnet sich keine "wesentliche Verbesserung" ab. Außerdem müssen Verwaltungsaufwand und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Ginge es also nur um wenige noch fehlende Lehrstellen, würde der Mechanismus kraft Kabinettsbeschluss nicht ausgelöst. Sind die Kriterien dagegen erfüllt, müssten alle Unternehmen mit mindestens elf Beschäftigten zahlen, deren Belegschaft weniger als sieben Prozent Lehrlinge aufweist. In der neuen Fassung ist "eine verbindliche Vereinbarung insbesondere mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft" das entscheidende Auslösekriterium - und damit auch die größte die Hintertür. Regierung und Wirtschaft sollen lediglich "schriftliche Zusagen" zu "finanziellen, personellen, organisatorischen oder sonstigen Beiträgen und Zielsetzungen" machen. Entscheidend ist demnach der Aufwand für die Gewinnung weitere Lehrstellen und nicht die Zahl der Lehrstellen selbst. Erachtet die Regierung die Anstrengungen als ausreichend, "wird von den übrigen Auslösekriterien abgesehen". Das heißt, das "Lehrstellenpolster" von 15 Prozent hat sich dann genau so erledigt wie die Azubi-Quote von sieben Prozent für die Betriebe. Obendrein wird die Regierung in einem Entschließungsantrag der Koalition ausdrücklich aufgefordert, den Pakt zu vereinbaren. "Der Erfolg eines freiwilligen Ausbildungspaktes macht die Anwendung des Gesetzes im Sinne einer Umlage überflüssig", heißt es in dem Beschlusspapier. Als zusätzliche Marscherleichterung wurde der Ausnahmekatalog erweitert. Waren anfänglich nur Betriebe mit drohender Insolvenz von der Abgabe ausgenommen, so sind jetzt auch Personal-Service-Agenturen und Sozialeinrichtungen wie Krankenhäuser und Pflegeheime sowie hoch verschuldete Kommunen davon befreit. Auf diese Weise hat Müntefering zumindest die Skeptiker in den eigenen Reihen gnädig gestimmt.

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