Zahnloser Tiger

Was waren das noch Zeiten, als die Verantwortlichen der CDU regelmäßig das große Fracksausen bekamen, wenn sich Anfang Januar die Christsozialen in Wildbad Kreuth trafen. Franz Josef Strauß, seine Giftpfeile und Drohungen in Richtung der großen Schwesterpartei waren legendär.

Das war krachledern, echt, derb, hemdsärmelig - bayerisch eben oder zumindest so, wie sich der Rest der Republik einen typischen Bayern so vorstellt. Damals nahm man sie noch ernst, die CSU und ihren Vorsitzenden. Aber heute? Warum sollte man diesem auf Bundesebene längst überflüssig gewordenen Wurmfortsatz christlich-demokratischer Weltanschauung überhaupt noch Beachtung schenken? In der großen Koalition sind die Christsozialen mit einem Wirtschaftsminister namens Michael Glos vertreten, der diesen Job weder gerne noch gut macht, und mit einem Verbraucherminister, der auf den Namen Horst Seehofer hört, und für den im Koalitionspoker bei der Verteilung der Posten zu seinem großen Leidwesen kein anderes Ressort mehr übrig blieb, als das von ihm so ungeliebte Landwirtschaftsministerium. Gekrönt wird diese illustre Runde allerdings von Edmund Stoiber, der Minister werden sollte, kurz vor Toresschluss allerdings die Hosen derart voll hatte, dass er sich breitbeinig bei Nacht und Nebel davonschlich - weg aus dem kalten, flachen Berlin, zurück ins Land der Berge und Weißwürste. Statt kraftstrotzendem Bajuwaren gab Stoiber zerknirscht den Kleinmütigen, der nach eigenem Bekenntnis litt wie ein Hund. In jedem anderen Bundesland wäre diese Art öffentlich-blamabler Fahnenflucht zwangsläufig mit dem Verlust des Ministerpräsidentensessels verbunden gewesen. Nur in Bayern nicht. Da darf Edmund Stoiber noch eine Weile weiter stottern. Vermutlich wird er sogar noch einmal im Kampf um den Chefposten in der Staatskanzlei antreten. Bayern geht's eben gut - nicht wegen, sondern trotz Stoiber. Und deshalb wird sich die CSU ihren zahnlosen Tiger wohl noch eine Weile leisten. Obwohl jeder weiß, dass das Land und die Partei außer weiteren Peinlichkeiten von Edmund Stoiber nichts mehr zu erwarten haben. d.schwickerath@volksfreund.de

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