Zauberwort Kooperation

Seit dem sozialdemokratischen Desaster in Hessen und Niedersachsengeistert ein Zauberwort durch die politischen Lande: Kooperation. Die strahlende Union möchte sie, der geschwächte SPD-Kanzler hat das Angebot bereits dankend angenommen, und die erstarkte FDP bekennt sich zu einer "Scharnierfunktion" zwischen den beiden Großen. Herrliche Zeiten kommen auf uns zu. Kein taktisches Geplänkel soll die Bürger mehr nerven. In Zeiten der wirtschaftlichen Krise spürt auch die Opposition ihre staatspolitische Verantwortung. Alle ziehen an einem Strang. Reformen statt Blockade, lautet die Devise. Das ist sicher ein schöner Traum. Doch dabei dürfte es bleiben. Denn wie bei jedem Angebot lohnt sich auch hier der Blick ins Kleingedruckte. Und da ist es der Union mit der Kooperation weit weniger Ernst, als sie gemeinhin glauben machen möchte. Die Spielregeln lauten ungefähr so: Wir warten erst mal ab, was die Regierung vorlegt. Handelt es sich nicht glasklar um unsere Vorstellungen, dann war`s das mit der Kooperation. Der Volksmund würde so etwas Erpressung nennen. Die Opposition hat jedenfalls das Zeug dazu: Von der absoluten Mehrheit im Bundesrat sind Union und FDP zwar noch ein Stück entfernt. Doch seit Sonntag können sie die meisten Gesetze zusätzlich verzögern. Ursache ist das Patt im Vermittlungsausschuss. Rot-grüne Gesetze, die der Zustimmung der Länderkammer bedürfen, haben formal gesehen keine Chance mehr. Bei der Steuerreform reichten Gerhard Schröder wenige Lockmittel, um den CDU-Block aufzubrechen. Spätestens mit dem "schwarzen" Machtzuwachs in Niedersachsen hat sich diese Strategie erledigt. Schröder redet nicht um die verfahrene Situation herum. Sein Angebot, das Angebot der Union anzunehmen, entspringt der nackten Not. Doch gerade weil sich der Kanzler vor der Union in den Staub wirft, dürfte dort das Verlangen zunehmen, die Preise nach oben zu treiben. Eine gedeihliche Zusammenarbeit kann daraus kaum entstehen. Gewiss, die Einigung bei den Mini-Jobs dient vielen als Musterbeispiel. In Wahrheit hatte die SPD jedoch fast alle Positionen der Union übernommen. Diese "Kooperation" lässt sich für die Sozialdemokraten nicht beliebig fortsetzen, weil sie ihrer politischen Kastration gleich käme. Doch genau darum geht es der Union. Die nächste Herausforderung kommt in Form der Gesundheitsreform. Hier könnten CDU und CSU Kooperation unter Beweis stellen. Statt dessen ruft die Union eine Konkurrenz zur Rürup-Kommission ins Leben. Natürlich lebt die Republik nicht zum ersten Mal mit gespaltenen Merheitsverhältnissen im Bundestag und Bundesrat - siehe Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Wer diesen Umstand beklagt, muss über klare Kompetenzabgrenzungen zwischen Bund und Ländern reden. Nötig wäre zum Beispiel ein Ende der unsäglichen Mischfinanzierungen. Damit könnten die Länder nicht mehr so einfach in den Bund hinein regieren. Umgekehrt gilt natürlich das Gleiche. Sicher, ein Bundeskabinett ist an diesen Umständen noch nicht zerbrochen. Gleichwohl herrscht Jahre langer Stillstand. Die Union wird ihre Kooperationsbereitschaft nur so weit treiben, wie sie einem Machtwechsel dient. Der Reformstau, so ist zu befürchten, hat sich bis dahin nicht aufgelöst. nachrichten.red@volksfreund.de

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