Zweiter Aufschlag der großen Koalition

Im Tennis spricht man vom zweiten Aufschlag. Wenn die Spitzen von Union und SPD heute Abend im Kanzleramt zu einer weiteren Sitzung des Koalitionsausschusses innerhalb von wenigen Tagen zusammen kommen, werden sie darauf bedacht sein, möglichst keinen Doppelfehler zu machen.

Berlin. Einmal wichtige Entscheidungen zu vertagen, das war noch möglich; jetzt muss das Bündnis seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen, wie Koalitionäre selber sagen. Knackpunkt längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I: SPD-Chef Kurt Beck will das Arbeitslosengeld (ALG) I für Ältere künftig bis zu 24 Monate lang auszahlen lassen. Bislang ist dies nur 18 Monate möglich. Wie teuer eine Verlängerung werden wird, auch darüber wird sich der Koalitionsausschuss den Kopf zerbrechen - die Zahlen schwanken zwischen 800 Millionen und bis zu drei Milliarden Euro. Vor allem aber wird es um die Gegenfinanzierung gehen: Die SPD will Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit verwenden, die Union ist zu einer Verlängerung bereit, besteht jedoch darauf, dass keine Zusatzkosten entstehen. Inzwischen gibt es Überlegungen, die Vorversicherungszeit auszudehnen, so dass man einen Anspruch auf das volle Arbeitslosengeld nicht nach 24 Monaten Beitragszahlungen, sondern erst ab 30 oder 36 Monaten erhält. Knackpunkt Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung: Die bisherigen Planungen sehen einen künftigen Beitragssatz von 3,5 Prozent vor. Nach Auffassung der Sozialdemokraten könnte mit einer Senkung auf lediglich 3,6 Prozent ebenfalls Geld zur Finanzierung der ALG-I-Verlängerung beschafft werden. Die Union hingegen will eine Senkung auf unter 3,5 Prozent durchsetzen - ihr Wirtschaftsflügel verlangt sogar eine Reduzierung auf drei Prozent. Knackpunkt Post-Mindestlohn: Der Streit der vergangenen Wochen drehte sich um die Frage, wer von dem Mindestlohn erfasst werden soll. Jetzt scheint eine Einigung greifbar. Dem Vernehmen nach hat das Kanzleramt einen Kompromissvorschlag erarbeitet, wonach der Mindestlohn auf jene Arbeitnehmer begrenzt werden soll, die "maßgeblich" mit Sortieren oder Verteilen von Briefen befasst sind, sowie auf Firmen, deren "hauptsächlicher Geschäftszweck" die Briefzustellung ist. Knackpunkt Bahnprivatisierung: Der kleinste gemeinsame Nenner wurde wohl bei einem Spitzentreffen am vergangenen Donnerstag bei Kanzlerin Merkel gefunden: ein sogenanntes Holding-Modell. Demnach dürfte die Bahn demnächst in zwei Holdings, in ein Infrastruktur- und ein Verkehrsunternehmen aufgeteilt werden. Die Infrastrukturholding bliebe - wie von der SPD gefordert - beim Bund. Die Sparten Fern-, Nah- und Güterverkehr sowie Logistik, würden an die Börse gebracht. Nur Sieger Wenn die Koalitionäre heute Abend zusammen kommen, wird es keine Verlierer, sondern nur strahlende Sieger geben. Kompromissvorschläge liegen bei allen bisherigen Streitpunkten auf dem Tisch. Auch wenn es nur kleinste gemeinsame Nenner sein werden, die der Koalitionsausschuss heute beschließen wird, das Bündnis hat nach all dem Pulverdampf vorab verstanden: Knapp zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl das Arbeiten wegen anstehender Landtagswahlen einzustellen, würde der Bürger nicht verzeihen. nachrichten.red@volksfreund.de

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