Kommentar: Präsident mit Rückgrat

Eine der schärfsten Sanktionen in der Diplomatie ist die Absage einer geplanten Reise. Bundespräsident Joachim Gauck fliegt nicht in die Ukraine, um auf den menschenunwürdigen Umgang mit inhaftierten Oppositionellen in dem Land, wie beispielsweise mit der ehemaligen ukrainischen Präsidentin Julia Timoschenko, hinzuweisen. Diese Entscheidung ist auch wichtig im Hinblick auf die Fußball-EM in diesem Land.


Mit ihrem traditionell geflochtenen Haarkranz ist die ukrainische Politikerin Timoschenko für viele immer noch ein Symbol der pro-demokratischen Orangenen Revolution von 2004. Ihre Inhaftierung und ihr Hungerstreik aus Protest gegen ihre Haftbedingungen sorgen deshalb für große internationale Empörung.

Doch eine Lichtfigur vom Kaliber eines Nelson Mandela ist Timoschenko nicht. Politische Gegner werfen ihr mit Blick auf ihr Privatvermögen in Höhe von mehreren Millionen Euro vor, keine saubere Weste zu besitzen. Schon 2001 wurde die damalige Vize-Regierungschefin wegen Schmuggels und Urkundenfälschung angeklagt. Viele Ukrainer werfen ihr zudem eine Nähe zu kriminellen Clans vor.

Auch daher halten sich in ihrer Heimat die Proteste gegen ihre Haft eher in Grenzen. Dennoch ist es richtig, dass sich die deutsche Bundesregierung so intensiv für die Menschenrechte in der Ukraine, und damit auch für die inzwischen schwer kranke Timoschenko einsetzt.

Aber Gauck hätte es halten können wie viele deutsche Spitzenpolitiker, die Despoten und Tyrannen besuchen oder gar nach Deutschland einladen. Er hätte in die Ukraine fahren können, um dort mit Staatspräsident Viktor Janukowitsch zu Abend zu essen und dann bei einer Tasse Tee auf das Thema Menschenrechte zu sprechen kommen. Doch Gauck fährt nicht und zeigt damit Standfestigkeit und Konsequenz im Handeln.

Auch wenn der Bundespräsident seine Reiseabsage nicht als Boykott-Aufruf für die Fußball-EM verstanden sehen möchte, so sollten sich deutsche Politiker an ihm ein Beispiel nehmen. Denn unsere Polit-Prominenz, die sich so gern auf der Tribüne bei Länderspielen zeigt, muss das nicht tun. Unsere Nationalmannschaft kommt auch gut ohne ihre Unterstützung aus.
t.zeller@volksfreund.de

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