365 Tage im "schönsten Amt"

BERLIN. Sein Job ist anstrengend: Franz Müntefering ist seit einem Jahr Vorsitzender der SPD. "Wir können es schaffen", er gibt sich zuversichtlich trotz der Niederlagen seiner Partei.

Am 28. September 2004 schrieb Franz Müntefering an die "lieben Genossinnen und Genossen" einen hoffnungsfrohen Brief. "Der Knoten ist geplatzt", hieß es da, und die SPD sei dabei, mit ihrer Politik "wieder auf die Höhe der Zeit zu kommen". Damals wurde der Kanzler noch als "standhaft" gepriesen, war die "Visa-Affäre" noch ein Fremdwort, dachte niemand an die Horrorzahl von fünf Millionen Arbeitslosen. Knapp ein halbes Jahr bemühte Müntefering abermals die Post. Diesmal war die Tonlage bitter und zornig, der Optimismus wie verflogen. Die Union setze in ihrem Drang zur "totalen Macht" auf "Lüge und Verleumdung", klagte Müntefering, der gegenwärtig nicht in der Stimmung ist, sein Jubiläum zu feiern: Heute ist er ein Jahr lang Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. "Das schönste Amt neben Papst", frohlockte er, als Bundeskanzler Gerhard Schröder die Doppellast nicht mehr tragen wollte und ihm das ehrwürdige Spitzenamt angeboten hatte. Niemals hätte sich der gelernte Industriekaufmann aus der sauerländischen Provinz träumen lassen, mal Chef der ältesten deutschen Partei zu werden und damit Nachfolger solch historischer Figuren wie August Bebel, Kurt Schumacher und Willy Brandt. Gewiss war er sich darüber im Klaren, dass es "verdammt schwierig" werden würde, die Agenda-geschädigte und auseinander driftende Partei zusammen zu halten. Aber dass er auch so verdammt erfolglos bleiben würde, hat er damals nicht gedacht. Zwar steht die SPD nicht mehr so tief im Keller wie zu Schröders Zeiten (23 Prozent), doch wirken die aktuell etwa 31,5 bis 33 Prozent auch nicht gerade prickelnd. Im Gegenteil: Nach der Wahlpleite in Schleswig-Holstein und dem Drama um die gestürzte Ministerpräsidentin Heide Simonis droht nun auch im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen der Verlust der Macht. Ausgerechnet in NRW, im Ruhrpott, vom seligen Herbert Wehner "Herzkammer der SPD" genannt. "Müntes" Heimatland. Das schmerzt, verursacht politische Herzrhythmusstörungen. Das macht auch depressiv, zumal dadurch die Chancen für den Bund 2006 weiter schwinden.Der Vorsitzende darf sich nichts anmerken lassen

Das Schlimmste für Müntefering: Er darf es sich nicht anmerken lassen. Jeder kann mal den Kopf hängen lassen, aber nicht der Vorsitzende. Der muss auch dann noch lächeln, wenn ihm zum Heulen zumute ist, der muss Geschichten erzählen, an die er selbst nicht glaubt, der muss den Silberstreif am Horizont beschwören, der in Wirklichkeit nur eine Fata morgana ist. Diese psychische Belastung ist es, die die meiste Kraft kostet. Nicht die unzähligen Termine, die ein Vorsitzender zu absolvieren hat. Persönlich kann der 65-jährige Malocher aus der CDU-Hochburg Sundern, der seine bescheidene Herkunft nie verleugnet hat, aber dennoch zufrieden sein. Denn die inneren Verwerfungen der Partei, die sich während der radikalen Reformphase gebildet haben, konnte er einigermaßen meistern. Ohne Müntefering hätte Schröder seine Agenda 2010 niemals durchbekommen, sagt man im Willy-Brandt-Haus. Die Arbeitsteilung mit Schröder - der Kanzler ist für das Regieren und Repräsentieren zuständig, der Vorsitzende für das Seelenheil der Genossen - klappt weitgehend reibungslos, auch weil Müntefering absolut loyal ist und keinerlei weitergehende Ambitionen hat. Aber was nützt der ganze Aufwand, wenn die Sterne ungünstig stehen, die Konjunktur störrisch ist wie ein Esel und die schlechte Stimmung gegen Rot-Grün sich nicht wenden will? Doch "Münte" wäre nicht "Münte", wenn er sich nicht Mut machen würde: "Wir können es schaffen", sagt er zur Ausgangslage in NRW. "Also: Schaffen wir es."

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