Abruptes Ende eines amerikanischen Traums

Verkauf oder Versteigerung: Zwei Millionen US-Bürger, so eine aktuelle Banken-Statistik, sind derzeit mit ihren Hypotheken-Raten mindestens einen Monat im Rückstand - und laufen Gefahr, ihr Haus zu verlieren.

Washington. Zuerst kamen die Mahnbriefe. Dann die Telefonanrufe. Und schließlich ein offizielles Schriftstück vom Gericht: Das Haus, das Bill Smith und seine Frau Mindy vor drei Jahren am Stadtrand von Austin (Texas) gekauft hatten, werde demnächst an den Meistbietenden versteigert. Und: Die Familie habe vier Wochen Zeit, die Koffer und Kisten zu packen.Für den selbstständigen Softwarespezialisten ist der Vorgang, der im Behördenjargon mit dem gefürchteten Begriff "Forelosure" umschrieben wird, das jähe Ende des amerikanischen Traums von Hausbesitz und Unabhängigkeit. Die Bank will nicht einmal einen Einnahmen-Nachweis

"Wir werden zunächst zu Verwandten ziehen müssen", resümiert Smith den plötzlichen Sturz ins Bodenlose. Das Schicksal des Computerfachmanns wiederholt sich derzeit zehntausendfach - mit steigender Tendenz - von Florida bis Alaska: Eine Hypothekenbank hatte Familie Smith ein Darlehen eingeräumt, ohne dass dieser eine früher übliche zehn- bis 20-prozentige Anzahlung machen musste. Auch das Einkommen des Selbstständigen reichte so gerade für die monatlichen Raten und laufenden Lebenshaltungskosten, doch die Bank wollte von der Familie nicht einmal einen Einnahmenachweis sehen. "Wir haben unser Jahreseinkommen in den Antrag geschrieben - das war's." Smith wusste zwar, dass es gelegentlich eng werden könnte, setzte aber auf die boomende Konjunktur in der Softwarebranche - und steigende Einnahmen. Doch die blieben aus. Hinzu kamen ein medizinischer Notfall und hohe Krankenhauskosten. Und zu allem Überfluss lief nach 24 Monaten die Zinsbindung für das zunächst so günstig scheinende Darlehen aus. "Die Monatsrate stieg plötzlich von 1400 auf 2000 Dollar", erzählt Smith, "das hat uns den Rest gegeben". Schnell war man mit drei Zahlungen im Rückstand - und erreichte den Punkt, wo die Gläubiger in der Regel die Zwangsversteigerung einleiten.Zwei Millionen US-Bürger sind derzeit mit ihren Hypotheken-Raten mindestens einen Monat im Rückstand - und laufen Gefahr, ebenfalls ihr Haus zu verlieren. Eine Entwicklung, die zum einen der Preisverfall am Immobilienmarkt beschleunigt hat. Zum anderen trägt diese Misere am Häusermarkt aber auch zu Schockwellen bei, die in den letzten Wochen die Finanzmärkte nicht nur an der Wall Street, sondern bis nach Deutschland hinein erschüttert haben. So hatte kürzlich die bundeseigene KFW-Bank der IKB-Bank mit mehr als acht Milliarden Euro aushelfen müssen, weil sich das Institut in den USA verspekuliert hatte. Die Bank steht dabei am Ende einer Risiko-Kette, die bei Hausbesitzern wie Bill Smith ihren Anfang nimmt. Zunächst sind da die Hypothekenmakler, Vermittler und Banken, die Geld an Immobilienkäufer gaben, die eigentlich gar nicht kreditwürdig waren. Um dieses Risiko nicht tragen zu müssen, wurden die meisten dieser sogenannten subprime"-Darlehen dann schnell und gebündelt an Wall Street-Banken weiterverkauft, die sich eine über dem Marktdurchschnitt liegende Rendite versprachen. Diese wackligen Darlehen wurden anschließend entweder in sogenannten Hedgefonds geparkt oder als "Bonds" verkauft, die beim ersten Blick für unbedarfte Investoren und Spekulanten dann gar nicht mehr besonders riskant erschienen.Doch mit dem rapiden Preisverfall am US-Immobilienmarkt, den wachsenden Zahlungsproblemen vieler Hausbesitzer und dem sich immer höher türmenden Berg an faulen Krediten erlebt dieses Investment-Kartenhaus einen beispiellosen Zusammenbruch. "Die Größenordnung der Risiken", so eine Zwischenbilanz von Jack Malvey, einem Chef-Finanzstrategen des New Yorker Bankhauses Lehman Brothers, "ist enorm unterschätzt worden". Nahezu täglich werden den US-Bürgern neue Hiobsbotschaften serviert.An einem Tag 7000 Angestellte entlassen

Am Montag erklärte sich das börsennotierte Unternehmen American Home Mortgage (AHM), einer der zehn großen Hypotheken-Verleiher in den USA, für bankrott - und entließ innerhalb eines Tages und ohne Vorwarnung 7000 der 7700 Angestellten. Einer der Geldgeber für AHM: Die Deutsche Bank AG. Tausende von Kaufinteressenten, die bei AHM in den letzten Wochen einen Kredit beantragt hatten, werden nun leer ausgehen - und bei anderen Banken womöglich ebenfalls kein Glück haben. Denn zahlreiche Institute haben damit begonnen, ihre Bonitäts-Kriterien massiv zu verschärfen. Was nach Expertenansicht dazu führen wird, dass für die derzeit auf dem Markt angebotenen Immobilien die Nachfrage weiter sinken wird - und damit auch der Wert. Viele Hausbesitzer geraten damit aber dann "unter Wasser", wie es im Branchen-Jargon heißt. Der Wert ihrer eigenen vier Wände fällt in einem solchen Fall unter die auf dem Haus eingetragene Belastung.

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