Affront oder geschickte Steilvorlage für Bush?

Washington. Kurz vor ihrem Antrittsbesuch in Washington, bei dem Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag mit US-Präsident George W. Bush und Außenministerin Condoleezza Rice zusammentreffen wird, hat die deutsche Regierungschefin vom Weißen Haus die Schließung des umstrittenen Internierungslagers Guantanamo Bay gefordert.

Auf den ersten Blick klang die Forderung Merkels wie der Versuch eines Affronts. Doch nicht wenige in den USA verstanden diese Kritik, die in den amerikanischen Medien nur am Rande erwähnt wurde, als geschickte Steilvorlage für den Texaner. Denn der bekommt nun die Möglichkeit, einmal mehr elegant darauf hinzuweisen, dass die Zahl der dort festgehaltenen Terrorverdächtigen im vergangenen Jahr doch deutlich verringert wurde und dass man den Inhaftierten Vergünstigungen - von Betstunden mit moslemischen Geistlichen bis hin zu religionsgerechter Nahrung - zukommen lässt, zu denen man eigentlich aufgrund der Einstufung der Gefangenen als nicht von der Genfer Konvention geschützte "feindliche Kämpfer" nicht verpflichtet wäre. Merkel, die direkt nach ihrer Landung am Donnerstagnachmittag einen Vortrag vor deutschen und amerikanischen Parlamentariern und Diplomaten zur Lage des transatlantischen Bündnisses halten wird, kleidete sich mit der Guantanamo-Kritik in den Mantel der kritischen Verbündeten - während Bush gleichzeitig, auch mit Blick auf die Opposition im eigenen Land, zumindest graduelle Einsichtsfähigkeit zeigen kann, aber wie Merkel am Ende immer noch das Gesicht wahrt. Trotz mehrerer klarer Reibungspunkte im Bereich der Menschenrechts- und Antiterror-Politik Washingtons lässt das Weiße Haus im Vorfeld des Merkel-Besuchs keine Zweifel daran, dass die Kanzlerin weitaus willkommener ist als ihr Amtsvorgänger Gerhard Schröder. Diesem hatte es Bush, wie Berater berichteten, nie verziehen, dass er aus Wahlkampf-Kalkül zu einem der führenden europäischen Opponenten des Irak-Kriegs wurde, nachdem er zuvor dem US-Präsidenten noch bei einem Kamingespräch zugesichert hatte, dieser habe bei Maßnahmen gegen Saddam Hussein die volle Rückendeckung der Deutschen. Über William Drozdiak, den Präsidenten des "American Council of Germany", ließ das Weiße Haus jetzt an deutsche Medienvertreter lancieren, Angela Merkel verstehe die Bedeutung des Begriffs "Freiheit" angesichts ihrer Ost-Vergangenheit vermutlich besser als andere deutsche Politiker - mit "andere" war natürlich Schröder gemeint.Deutscher Truppeneinsatz nicht mehr gefragt

Dabei muss Merkel nicht damit rechnen, dass beim Thema Irak die Forderung nach einem deutschen Truppeneinsatz noch einmal aufgewärmt wird: Zu einem Zeitpunkt, da Amerikas Innenpolitiker längst die Abzugsdebatte führen und Verteidigungsminister Rumsfeld bereits den Abzug einiger Brigaden in diesem Jahr in Aussicht gestellt hat, ist eine derartige Forderung obsolet. Stattdessen darf sich auch die Unionspolitikerin auf die Standard-Forderung Washingtons einstellen, Berlin möge doch bei der weiter so dringend notwendigen Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte eine stärkere Rolle spielen. Insgesamt gehen Beobachter in Washington davon aus, dass Angela Merkel dazu beitragen wird, die zweifelsohne existierenden Spannungen zwischen den USA und Europa abzubauen. " Sie ist dafür die geeignete Persönlichkeit", urteilt etwa der konservative Kommentator William Kristol vom Wochenmagazin "Weekly Standard". Zwar schwebt das Thema CIA-Flüge und geheime Gefängnisse immer noch drohend über dem Treffen, doch dominieren sollen außenpolitische Fragen, bei denen Deutschland und die USA gemeinsame Interessen haben. Immer wieder an erster Stelle werden dabei die atomaren Ambitionen der Mullahs in Teheran genannt, die ungeachtet internationaler Warnungen weiter an ihrem Nuklearprogramm festhalten. Interessant dürfte nun sein, welche Sprachregelung Merkel und Bush für den Fall eines Scheiterns der diplomatischen Bemühungen finden. Der US-Präsident hat deutlich gemacht, dass ihm sehr an einer Lösung auf dem Verhandlungsweg liegt; er hat aber auch - der Tradition anderer Präsidenten folgend - eine Militäraktion nicht völlig ausgeschlossen. Zunächst dürfte nun der UN-Sicherheitsrat gefragt sein - eine Marschroute, der beide Politiker zustimmen können. Doch die Nagelprobe bei diesem Konflikt, der sicherheitspolitisch dieses Jahr dominieren könnte, zeichnet sich bereits für den Fall ab, dass in den Hallen der Vereinten Nationen eine Abmahnung des Iran durch Sanktionen scheitert und Teheran die Urananreicherung wieder aufnimmt. An weiterem Gesprächsstoff gibt es keinen Mangel: Die Zukunft der Friedensbemühungen im Nahen Osten werden angesichts der schweren Erkrankung von Ariel Scharon ebenfalls ein Thema zwischen Bush und Merkel sein, gleich gefolgt von der Frage, wie es beide Regierungen künftig in ihren Beziehungen zu Moskau halten werden. Im Weißen Haus hatte man in der Vergangenheit mit Stirnrunzeln den engen Schulterschluss Schröders mit Wladimir Putin verfolgt. Zustimmung gab es deshalb kürzlich auch in den USA, als Angela Merkel kritische Worte gegenüber dem Kreml-Chef im Hinblick auf geplante Einschränkungen für Nichtregierungsorganisationen fand. Auch deshalb ist "Angie", wie sie regierungsintern in Washington manchmal genannt wird, willkommener als "Görhard".

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