Agenda mit Herz

Berlin. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) will auf Reformkurs bleiben. Das hat er in seiner mit Spannung erwarteten Regierungserklärung versichert.

Ein paar Worte können eine ganze Rede verderben. Gerade setzte Angela Merkel zu einer Attacke gegen die Koalition an. Doch prompt entfuhr der CDU-Chefin das verbale Eigentor von der "Zerstrittenheit der Opposition". Den Abgeordneten in den eigenen Reihen entglitten die Gesichtszüge. Auf den SPD-Bänken machte sich lautstarkes Hohngelächter breit. Und auch der Kanzler sperrte vor Vergnügen den Mund auf. Den Sieg nach Punkten hatte er mit diesem Patzer sicher im Kasten. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Denn schon das Motto der Regierungserklärung gestern im Bundestag klang nach einer Steilvorlage für die Union: "Deutschland 2010 - unser Weg zu neuer Stärke." Über zwei Wochen hatten die Redenschreiber am Text gefeilt. Noch am Mittwochabend auf dem Rückflug von Madrid nahm Gerhard Schröder die letzten Korrekturen vor. Der Vortrag sollte Bilanz und Ausblick sein über das, was vor fast genau einem Jahr an gleicher Stelle seinen Anfang nahm. Damals verkündete Schröder seine "Agenda 2010", die nicht nur breite Bevökerungsschichten in Wallung brachte, sondern auch die eigene Partei. Nullrunde für Rentner, höhere Zuzahlungen im Krankheitsfall, größere Zumutungen für Arbeitslose lauten die Reizformeln. Allein, der Kanzler suchte gestern staatsmännisch die Einschnitte ins Positive zu wenden. Deutschland stehe "um einiges besser da" als noch vor zwölf Monaten. Der Rückgang der Erwerbstätigkeit komme zum Stillstand und die Wirtschaft wachse wieder. Das sei zwar kein Ruhekissen, widerlege aber alle Schwarzmaler und biete die Chance, "sich auf die eigene Stärke zu besinnen". Einen Stopp der Reformen, so Schröders Botschaft, dürfe es nicht geben. Sonst werde "alles viel, viel schlimmer". Anders als bei früheren Gelegenheiten verpackte er die unbequemen Maßnahmen jedoch mit Herz und Wärme, um ihnen schließlich so etwas wie einen gedanklichen Überbau zu geben. Die Genossen quittierten es mit ehrlichem Applaus. Gerade weil die Gerechtigkeit auch nach dem Empfinden vieler Sozialdemokraten in der Agenda zu kurz kommt, knöpfte sich Schröder die Spitzenverdiener vor, welche sich "Millionenvergütungen" genehmigten, was zwar nach Recht und Gesetz sei, aber nicht nach "Moral und Anstand". Überhaupt, so der Kanzler, brauche es ein "neues Verständnis" von Gerechtigkeit: Ressourcen müssten frei werden, um in die Zukunft zu investieren. "Kinder sind das Wertvollste, was wir haben, sie sind ein anderes Wort für Zukunft, aber auch für Zuversicht", rief Schröder aus.Endgültiges Ende der Eigenheimzulage

Ganztagsbetreuung, bessere Ausbildung, mehr Forschung und Innovation sind die politischen Bausteine. Dafür will der Niedersachse die Goldreserven der Bundesbank mobilisieren und die Eigenheimzulage abschaffen. Mehr konkrete Vorhaben nannte Schröder nicht. Wohl auch deshalb übte sich Oppostionsführerin Merkel anschließend im Totalverriss. Die Regierung agiere in einer "irrealen Welt", weshalb das Volk kein Vertrauen mehr habe. "Sie haben in schönen Überschriften geredet", meinte Merkel und zählte auf, was Schröder unerwähnt ließ: Wo sei Ostdeutschland geblieben, wo die Bundeswehr und wo die steuer- und abgabengebeutelte Krankenschwester? Dabei möchte Merkels Partei gerade für diese Berufsgruppe die Steuerfreiheit bei Feiertagszuschlägen kippen. Die Christdemokratin beklagte auch, dass sich die Regierung einer tief greifenden Steuerreform verschließe. Dabei hatten CDU und CSU im Vorjahr weiter gehende Steuerpläne der Regierung gestoppt. So konnte der Funke auf die Oppositionsreihen nicht überspringen, zumal Merkel der Kanzler-Agenda durchaus Sympathie zollte. Viel Konkretes hatte auch sie nicht zu bieten. Stattdessen verlor sich ihr politischer Angriff im Klein-Klein von Klimaschutz und Energiepolitik. Als die CDU-Chefin dann gar noch den Kanzler-Rücktritt forderte, wirkte die Kritik maßlos überzogen. Für die Kameras gaben sich ihre Anhänger freilich alle Mühe, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Merkel sei ausgezeichnet gewesen, befand der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Kauder. Dagegen habe Schröder nur "Beruhigungslyrik für die SPD" abgeliefert. FDP-Chef Guido Westerwelle sah die "Agenda 2010" nach Schröders Auftritt sogar vollends begraben. "Der Traditionalist Franz Müntefering hat die Regierungserklärung geschrieben", meinte er.

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