Alles vergessen, alles verziehen?

Washington. Nach Monaten des Zerwürfnisses mit US-Präsident George W. Bush bahnt sich nun eine Besserung der Beziehungen zu Berlin an.

George W. Bush ist stets für eine Überraschung gut. Wann immer man Mitarbeiter des Präsidenten in den letzten Monaten auf dessen Gefühle gegenüber dem deutschen Bundeskanzler ansprach, antworteten diese mit einer Anekdote: Hätte Bush im Mai 2002 in Berlin noch die "great relationship mit Gerhard" betont, so zeige er nun politischen Gästen im Weißen Haus bei Rundgängen allzu gern den Sessel, in dem Schröder bei seiner letzten Washington-Reise Platz genommen hatte: "Hier saß der deutsche Kanzler, der seine Versprechen gebrochen hat", pflege der Präsident zu sagen. Keine Frage: Der Groll im Herzen des Texaners saß tief. Alles vergessen? Seit George W. Bush am Freitag auf seiner Ranch in Crawford der Bundesregierung verbal die Hand reichte, für die die Erwartungen Washingtons übertreffende Rolle Berlins im Afghanistan-Einsatz dankte und erklärte, er freue sich darauf, "Bundeskanzler Schröder dafür zu danken", haben sich die Mienen jener wieder aufgehellt, die auf Entspannung im gegenseitigen Verhältnis setzen. Und damit wird auch die Frage akut: Was steckt wirklich hinter dem nun mit Händen greifbaren Ende der deutschen-amerikanischen Kälteperiode?Kein Gefühlsausbruch des US-Präsidenten

Falsch dürften diejenigen liegen, die hinter der Geste Bushs mehr als nur eiskaltes Kalkül - nämlich das Erwachen persönlicher Sympathien - vermuten. Der Texaner gelte als extrem nachtragend, lautete schon das Resümee jener, die während der Gouverneurszeit Bushs bei diesem in Ungnade verfielen und deshalb bis heute auf der politischen Strafbank sitzen. Doch Amerika fokussiert seine Aufmerksamkeit immer mehr auf das Wahljahr 2004, in dem Erfolgsbilanzen gezogen werden müssen - auch bei der Frage, mit wievielen Ländern es sich der Präsident verscherzt hat. Der wachsende öffentliche Druck in Sachen Irak zwingt den US-Präsidenten zu stärkerer internationaler Kooperation über die kleine "Koalition der Willigen" hinaus, wobei ein von der Opposition genüsslich zur Kenntnis genommenes enormes und schnell weiter wachsendes Haushaltsdefizit zusätzlichen Handlungsbedarf liefert. Da kommen die Pläne der Bundesregierung, den Einsatz von Soldaten in Afghanistan über Kabul hinaus auszudehnen und US-Truppen damit zu entlasten, wie gerufen. Selbst 1000 Soldaten aus deutschen Kasernen helfen Washington da schon weiter. Auch will man möglichst von den Balkan-Pflichten entlastet werden. Doch der eigentliche Wunsch des Weißen Hauses geht viel weiter und richtet sich vor allem auf den Irak, aber auch die Frage künftiger internationaler Krisen-Intervention. Gelingt es nämlich der US-Regierung, beim wichtigen Nato-Partner die Hemmschwelle für Einsätze mit starken amerikanischen Interessen auf Dauer herab zu setzen, könnte dies in den kommenden Jahren andere, eher zurückhaltende Regierungen verstärkt unter Beteiligungsdruck setzen - und so für Washington politische wie militärische Entlastung bedeuten.

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