Alles, was man zum Leben braucht

OBERKAIL. Jahrelang ging im Ort ein Licht nach dem anderen aus, doch am Horizont zeigt sich zaghaft ein Silberstreif. Ob er tatsächlich Vorbote einer Morgendämmerung ist, liegt noch im Dunkeln: Die 700-Einwohner-Gemeinde Oberkail im Kreis Bitburg-Prüm verkörpert beispielhaft die Situation vieler Dörfer in der Region.

Die Oberkailer sind glücklich: Es gibt wieder einen Laden im Dorf. Nachdem Ende Mai 2003 das letzte Lebensmittelgeschäft geschlossen hatte, werden seit Mitte Januar wieder Brot, Fleisch, Obst, Getränke und alles, was sonst zum Grundbedarf gehört, im Ort angeboten. Und nicht zu unterschätzen: Es gibt wieder einen Treffpunkt, an den man zum Plausch kommen kann.Zu verdanken ist das einer Balesfelder Bäckersfamilie, die neben ihrem angestammten Betrieb auch drei kleine Lebensmittelläden in Balesfeld, Neidenbach (beide Kreis Bitburg-Prüm) und Densborn (Kreis Daun) unterhält und nun eine Filiale in Oberkail betreibt.Auch ein Friseurladen hat eröffnet

Unmittelbar neben einem Getränkemarkt, den die Geschäftsleute ebenso wie eine Post-Agentur gleich mitbetreiben, haben sie einen leer stehenden Raum angemietet und dort Regale, Theken und Kasse aufgestellt. Acht Angestellte schmeißen den täglich geöffneten Laden. An normalen Tagen kämen etwa 120 Leute, berichtet Martina Jansen-Wallraven, die das Familienunternehmen zusammen mit ihrer Schwester Pia Laubach-Banz führt. "Samstags sind es bis zu 250. Meine Erwartungen sind übertroffen worden."Wie können sich die Schwestern mit Läden in Dörfern halten, aus denen sich andere Händler zurückziehen? Entscheidend sei, etwas eigenes zu verkaufen - wie sie die Backwaren, sagt Jansen-Wallraven. "Und die Erwartungen dürfen nicht zu hoch sein. Man wird mit so was nicht steinreich." Der Oberkailer Ortsbürgermeister Rudolf Densborn, der laut Jansen-Wallraven zur Entstehung des Ladens "sehr viel beigetragen hat", ergänzt: Wichtig sei das Angebot an frischen Waren, die man schlecht auf Vorrat in Bitburg oder Wittlich kaufen könne - Brot, Fleisch, Obst.Der Lebensmittelladen ist nicht der einzige Lichtblick in Oberkail: Im vergangenen Jahr hat auch ein Friseurladen eröffnet und das Dienstleistungs-Angebot vor Ort - darunter Filialen von Kreissparkasse und Raiffeisenbank, zwei Gaststätten, eine Autowerkstatt - erweitert. Auch Kindergarten und Grundschule gibt‘s noch im Dorf. "Was der Einwohner für den täglichen Bedarf braucht, haben wir hier", sagt Rudolf Densborn. Damit steht sein Dorf gut da - im Vergleich zu anderen Orten. Setzt man die Situation heute allerdings in Relation zu der in den 70er-Jahren, fällt die Bilanz ganz anders aus. Damals gab es in Oberkail noch - um nur einige zu nennen - vier Läden, fünf Gastwirtschaften, einen Schuster, einen Schneider, eine Tankstelle. Banken und Post hatten ganztägig geöffnet. Dass Oberkail trotz dieser Abwärtsentwicklung relativ weit vorn liegt, macht die Dimension des Niedergangs der ländlichen Gebiete deutlich.Warum hat sich der Ort noch ganz gut geschlagen? Dafür gibt es Densborn zufolge zahlreiche Gründe. Zum einen habe sich Oberkail frühzeitig bemüht, Schwerpunktgemeinde der Dorferneuerung zu werden. Unter seinem Vorgänger sei das Straßennetz modernisiert, alte Bausubstanz renoviert und Vieles umgestaltet worden. Die Dorferneuerung habe auch das "Wir-Gefühl" gestärkt. Oberkail verfüge über ein intaktes Vereinsleben, sagt Densborn. Das Angebot reiche von der Tanzgruppe für Dreijährige bis zur Ü-50-Radsport-Gruppe. Hinzu komme die zentrale Lage: Viele Leute aus den Nachbardörfern erledigten Geschäfte und machten Besorgungen in Oberkail, zudem sei die Autobahn drei Kilometer entfernt, ohne dass man sie im Dorf sehe oder höre. Und schließlich liege der Ort landschaftlich wunderschön im Kailbachtal. In den vergangenen Jahren seien jeweils vier bis fünf neue Häuser gebaut worden, berichtet der Ortsbürgermeister. Und verfallende Bausubstanz im Ortskern sei, auch dank der Dorferneuerungsmittel, in Oberkail "noch kein großes Problem". Was wird die Zukunft bringen? Rudolf Densborn wagt eine Prognose: "Oberkail entwickelt sich zu einer Wohngemeinde", sagt er. "Das ist das Ziel. Und unsere einzige Chance." Als Gewerbestandort sieht er keine Perspektive für seinen Ort. Was die Infrastruktur betrifft, den neuen Laden zum Beispiel, nimmt Densborn seine Bürger in die Pflicht: Sie allein hätten es in der Hand, schrieb er zur Eröffnung im Mitteilungsblatt, wie lange sich das Geschäft rentiere.

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