Als der Albatros gegen Saddam flog

BITBURG. Mit olympischerGeschichte und noch mehr mit olympischen Geschichten unterhielt Michael Groß, ehemaliger Spitzenschwimmer und heute Journalist und Unternehmensberater, rund 400 Gäste der Kreissparkasse Bitburg-Prüm zur Eröffnung des Beda-Marktes in der Bierstadt.

Es gibt Verbindungen aus Sportlern, Sportreportern und legendären Sprüchen, die vergisst man nicht. Herbert Zimmermann, Helmut Rahn und sein "Rahn müsste schießen" war der Anfang, es folgten Bruno Morawetz, Jochen Behle und sein "Wo ist Behle?", ehe die Kombination Jörg Wontorra, Michael Groß und "Flieg, Albatros, flieg" sich in die Erinnerung der Fernsehzuschauer einbrannte. Es war das Duell bei Olympia 1984: Michael Groß gegen Pablo Morales. Am Ende waren beide schneller, als je ein Mensch zuvor die 100-Meter-Schmetterling-Strecke absolviert hatte, doch "Goldfisch" Groß war noch schneller und Morales heulte wie ein Schlosshund.Komplette Gefühlspalette in 100 Minuten

Eine der olympischen Episoden, mit denen Michael Groß die rund 400 Ehrengäste am Freitagabend im Haus Beda unterhielt. "In 100 Minuten habe ich die komplette Gefühlspalette erlebt", erzählt der heute 39-jährige, der als selbstständiger Unternehmensberater arbeitet. Nicht einmal zwei Stunden nach seinem Olympiasieg fiel er als Schluss-Schwimmer der hoch favorisierten deutschen Staffel ins Leid, als die USA ihm das Gold vor der Nase wegschnappte. "Das war meine erste und letzte Chance, mit der Staffel Olympiasieger zu werden. Ich habe sie verpasst." Die Erkenntnis des fünffachen Welt- und dreizehnfachen Europameisters: "Es gibt keine Vize-Olympiasieger." Dreimal durfte Groß 1984 und 1988 aber ganz oben auf dem Olympischen Podest stehen, doch die Medaillen sind nicht unbedingt das wichtigste, was haften blieb - vielmehr sind es die vielen kleinen Geschichten. Besonders beeindruckt hat ihn jene Begebenheit im Olympischen Dorf von Los Angeles. Verzweifelt versuchte er sich an einem den "Krieg-der-Sterne"-Filme angelehnten Videospiel, als zwei Araber, die das Spiel beherrschten, in sein Leben traten, von denen er heute nicht mehr weiß, ob sie überhaupt noch leben. Ein Kuwaiti und ein Iraker mit Spitznamen "Saddam". Sie aßen Hamburger und erzählten. "Diese Erfahrungen sind mehr wert als Gold", meint Groß rückblickend: "Saddam gewann beim Videospiel, ich wurde Olympiasieger." Oder Seoul 1988, als die Ernährung fast ausnahmslos aus China-Kohl bestand und die deutschen Gewichtheber ihr Kampfgewicht nicht halten konnten. Ein Hilferuf in die Heimat sorgte für die Rettung: Ein halber Lufthansa-Jumbo mit Weißwürsten und Weißbier sowie Bananen brachte die Wende. Die Portionen waren allerdings so reichlich, dass jedem deutschen Olympia-Teilnehmer am Ende fünf Paletten Dosenbier zustanden; ein Vorrat, der nicht einmal durch einen öffentlichen Biergarten vernichtet werden konnte. 1988 war zudem das Jahr, in dem die auch zwischen Sportlern befindliche Mauer langsam bröckelte. Der DDR-Schwimmer Jens-Uwe Bernd, der zunächst in die USA geflohen war und später für die BRD startete, sorgte vor Olympia für erhebliche diplomatische Verwicklungen, in Seoul aber war sein größter Wunsch, seine alten Teamkameraden zu treffen. Obwohl alle wussten, dass zahlreiche DDR-Sportler für die Stasi als Spitzel arbeiteten, wurde das Geheimtreffen im Zimmer von Groß arrangiert. "Es war der Moment der größten Freude", erzählt Groß über die Tränen des Glücks, als sich Bernd und sein ehemals bester Freund Uwe Dassler in die Arme schlossen. "Das war wie ein Jahr später beim Mauerfall."Luft im Darm und ein jubelnder Senegalese

Groß gab aber auch weniger staatstragende Geschichten zum besten: 1976 pumpten sich deutsche Schwimmer Luft in den Darm, um eine bessere Wasserlage zu erreichen, doch der Erfolg, so Groß, "war schon vor dem Start und zu Ungunsten der Konkurrenten im wahrsten Sinne verflogen". Oder jener Senegalese, der 1988 im Vorlauf nach Groß über 200 Meter Schmetterling an den Start ging, mangels Kraft nach 175 Metern aufgab, aber wild jubelnd aus dem Wasser hüpfte - die simple Erklärung: "So weit war zuvor noch nie ein Landsmann geschwommen." Heute findet man Groß nur noch ganz selten in seinem früheren Element. "Auf das Schwimmen zu verzichten, fiel mir nicht schwer." Zu sehr ist er beruflich eingespannt - und um ein Haar hätte er eine weitere Funktion erfüllt: Geschäftsführer der Leipziger Olympia-Bewerbung 2012. Eigentlich war Anfang Oktober 2003 schon alles klar, doch zwei Tage, bevor er offiziell präsentiert werden sollte, sagte Groß wegen "gezielten Indiskretionen und bewussten Fehl-Informationen" ab. Der Bewerbung räumte er gegenüber dem TV "nur Außenseiterchancen" ein. Wäre er nach Leipzig gewechselt, hätte sich seine lose Verbindung zur Eifel verstärkt. Denn dann hätte Groß mit Mike de Vries, dem ehemaligen Leiter der Abteilung Sportsponsoring bei der Bitburger Brauerei, zusammen gearbeitet. So sitzt er "nur" mit dem Ex-Chef von de Vries, Bit-Boss Axel Simon, im Vorstand der Deutschen Sporthilfe. Seinen ersten Kontakt zur Eifel hatte er im Jahr seines ersten Olympia-Siegs 1984, als er als Soldat die Airbase Spangdahlem bewachte. Ein paar Monate, nachdem er seine Olympia-Premiere gefeiert hatte. "Olympia hat eine besondere Aura und schreibt Geschichten, die es sonst nicht gibt." Und davon kennt Groß zahlreiche.

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