Alte Spaltpilze und neue Dolchstoß-Legenden

Der Rücktritt von Kurt Beck als SPD-Parteichef war auch am Montag in Berlin das große Thema. Während die Parteispitze versuchte, die Lage zu beruhigen, wurde darüber diskutiert, was vor Becks Rücktritt hinter den Kulissen vorgegangen ist.

Berlin. "So geht man mit einem Vorsitzenden nicht um". Für Heiko Maas, SPD-Landeschef im Saarland, war gestern klar, dass eine Intrige gegen Kurt Beck gelaufen ist. Er drohte dem designierten Nachfolger Franz Müntefering schon an: "Es gibt keinen Persilschein". Der Berliner Klaus Wowereit sprach von einem "schalen Beigeschmack" und Andrea Nahles, ebenfalls Parteilinke, von "Heckenschützen aus den eigenen Reihen". Dass das Gemetzel vom Schwielowsee Rachegelüste wecken könnte, war am Tag danach die größte Sorge der neuen SPD-Führung. In den Gremien versuchte man krampfhaft, nach vorne zu schauen.

Kurt Beck selbst hatte am Sonntag die Basis für alle Dolchstoß-Legenden gelegt. In einer bitteren Erklärung ließ er verlauten, es habe "gezielte Falschinformationen" um die bevorstehende Ernennung Frank-Walter Steinmeiers zum Kanzlerkandidaten gegeben, die darauf angelegt seien, ihm als Vorsitzenden keinen Handlungsspielraum mehr zu lassen. Einen "giftigen Pilz" nannte ein Vorstandsmitglied gestern diesen Text. Einen Spaltpilz. Nach Informationen unserer Zeitung bezog sich Beck auf einen Fernsehkommentar am Samstagabend in der ARD. Dort hieß es, Steinmeier habe Beck die Entscheidung für seine Kanzlerkandidatur praktisch abgezwungen. Wenn der Rheinland-Pfälzer jetzt überhaupt noch Parteichef bleiben könne, dann nur noch von Steinmeiers Gnaden. Beck mutmaßte sofort, dass Müntefering, Steinbrück und Steinmeier hinter dieser Interpretation steckten, und glaubte, dafür auch Beweise zu haben. Am Donnerstag noch hatte er in Bonn mit Steinmeier und Müntefering eine ganz andere Strategie verabredet: Steinmeier sollte von ihm als Kanzlerkandidat ausgerufen werden und Müntefering in das Wahlkampfteam rücken. Bei allem wollte Beck klar machen, dass er der Chef bleibe. Nun aber stand er im Fernsehen als Depp da, dem das Heft des Handelns aus der Hand genommen wurde. Noch in der Nacht zum Sonntag rief er Steinmeier an und sagte, er werde zurücktreten. Zugleich schlug er Steinmeier als seinen Nachfolger vor. Dieser reagierte reserviert.

Am Sonntagmittag, als sich der engste Führungskreis in einem Lokal bei Potsdam zusammensetzte, während der restliche Vorstand am Schwielowsee nichts ahnend wartete, begründete Beck seinen Rücktritt mit den "Durchstechereien". Dass dem in der Runde nur schwach widersprochen wurde, bestärkte ihn nur in seiner Einschätzung. Beck erneuerte seinen Vorschlag, dass Steinmeier sein Nachfolger werden solle. Doch dieser lehnte unter Hinweis auf seine Belastung ab. Alternativ nannte Beck dann Arbeitsminister Olaf Scholz. Doch als Steinmeier sagte, er werde Franz Müntefering als neuen Vorsitzenden vorschlagen, war diese Idee gestorben. Niemand wollte den neuen Spitzenmann in dieser Situation düpieren.

Andere in der Partei nennen Becks Reaktion allerdings "extrem dünnhäutig". Sie bestreiten, dass es eine Intrige gab. Es sei doch klar gewesen, dass es solche Interpretationen geben würde, wie sie Beck am Samstagabend im Fernsehen hörte. Auf so etwas kämen Journalisten von selbst. Bei Beck sei wohl "das Fass übergelaufen". Der Mann sei am Sonntag tatsächlich "wenig souverän" gewesen.

Für Franz Müntefering geht es nun vor allem darum, die aufgebrachte und verunsicherte Parteilinke zu beruhigen. Schon am Sonntag hatten sich Andrea Ypsilanti aus Hessen und Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein bei der Nominierung Münteferings der Stimme enthalten, und auch gestern bei der Sondersitzung des Parteivorstandes gab es - anders als bei der Personalie Steinmeier - bei Müntefering fünf Enthaltungen und eine Nein-Stimme. Das Risiko, dass alte Flügelkämpfe wieder ausbrechen, ist groß. Am 18. Oktober soll ein Sonderparteitag in Berlin den neuen Vorsitzenden wählen. Das beschlossen die Gremien gestern. Nur den Chef, nicht die sonstige Führungsriege. Die bleibt bis zur nächsten turnusmäßigen Wahl im Herbst 2009 im Amt, darunter auch Andrea Nahles. Müntefering muss also mit der Frau zusammenarbeiten, die 2006 seinen Sturz auslöste. Ebenso mit Generalsekretär Hubertus Heil, der damals an Nahles Seite stand. Aber die Parteilinke verlangt noch ein weiteres Signal vom neuen, alten Vorsitzenden: Dass er nicht hinter die Hamburger Parteitagsbeschlüsse von 2008 zurückfällt. Damals beschloss die SPD auf Betreiben Becks und gegen Münteferings Willen Korrekturen an den Reformen der Agenda 2010. Steinmeier betonte gestern bei seinem ersten gemeinsamen Presseauftritt mit Müntefering, Hamburg werde die Grundlage des Wahlprogramms. Und Müntefering ergänzte: "Die Beschlüsse gelten, das ist klar".

Kurt Beck will sich zu den Vorgängen um seinen Rücktritt in der nächsten Zeit nicht mehr äußern. Am Samstag geht es für den Ex-Vorsitzenden darum, seine Basis in Rheinland-Pfalz zu stabilisieren. Dort stellt er sich der Wiederwahl als SPD-Landeschef. Tagungsort ist ausgerechnet die "Phönix"-Halle in Mainz.

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