"Am Ende steht Deutschland allein"
TRIER. Deutschland isoliert, die Nato gespalten, die EU nicht vorhanden und der Sicherheitsrat in der Krise - der Irak-Konflikt sorgt für erhebliche Strukturveränderungen in den internationalen Beziehungen. Wir sprachen darüber mit dem renommierten Politikwissenschaftler Hanns W. Maull, der an der Universität Trier den Lehrstuhl für Außenpolitik und Internationale Beziehungen hat.
Hauptkritikpunkt an der Bundesregierung ist derzeit:Deutschland ist aufgrund der Irak-Politik außenpolitischisoliert. Stimmt das? Maull: Deutschland hat sich außenpolitisch selbst isoliert. Es hat die Möglichkeiten versäumt, die inhaltliche Position, die es verfolgt, wirksam in die internationale Politik einzubringen. Das wäre nur gegangen über eine gemeinsame europäische Position, also eine, die mit Frankreich und Großbritannien abgestimmt gewesen wäre. Dafür gab es im Frühherbst 2002 eine Chance. Die ist nicht genutzt worden. Und jetzt ist es zu spät.
Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Nato: Weil Deutschland, Frankreich und Belgien die Entscheidung über eine Hilfe für die Türkei hinausgezögert haben, wird von einer schweren Nato-Krise gesprochen. Ist das Bündnis tatsächlich in Gefahr?
Maull: Das Bündnis ist nicht in dem Sinne in Gefahr, dass der Nato-Vertrag aufgekündigt oder die Organisation aufgelöst würde. Die eigentliche Frage ist: Sind die Mitgliedstaaten der Nato wirklich noch gemeinsam handlungsfähig? Und in diesem Punkt sehe ich in der Tat eine ganz tiefe Krise der Nato. Es gibt heute in der Nato tief greifende Unterschiede in den Positionen: Auf der einen Seite stehen die USA und Großbritannien, aber auch etliche andere europäische Nato-Mitglieder, auf der anderen Seite insbesondere Deutschland und Frankreich.
Was ist dieser grundlegende Unterschied der Positionen?
Maull: Die amerikanische Außenpolitik hat sich seit dem 11. September 2001 grundsätzlich verändert. Es gibt heute in Amerika eine völlig andere Einschätzung der Bedrohungslage als in Europa. Und die amerikanische Politik hat derzeit auch ganz andere Vorstellungen als
etwa Deutschland und Frankreich davon, wie man mit diesen neuen Bedrohungen durch internationale Terrornetzwerke und Massenvernichtungswaffen am besten umgehen könnte. Die amerikanische Vorstellung dazu ist: Wir haben eine enorme militärische Überlegenheit, und wir wollen die jetzt nutzen, um zu verhindern, dass jemals Massenvernichtungswaffen in die Hände von Terroristen fallen. Viele Europäer dagegen sind skeptisch, was sich mit den Mitteln des Krieges erreichen lässt. Sie verweisen darauf, dass es eher darum ginge, politisch darauf hinzuwirken, dass Massenvernichtungswaffen nicht entwickelt und eingesetzt werden, und sie befürchten, dass ein Krieg die islamische Welt insgesamt in Aufruhr versetzen könnte.
Sehen Sie eine Möglichkeit, dass diese Differenzen noch einmal ausgeräumt werden können?
Maull: Das war im Grunde seit dem 11. September 2001 schon immer schwierig, und ich denke, es ist jetzt für längere Zeit unmöglich geworden. Amerika und Europa treiben politisch - nicht wirtschaftlich und gesellschaftlich - auseinander. Und zwar einfach deswegen, weil sich die zwei wichtigsten Staaten im Bündnis, nämlich Amerika und Deutschland, jeweils auf so extreme Positionen versteift und sich so festgelegt haben, dass eigentlich keine Kompromiss-Spielräume mehr da sind. Und die USA werden ganz sicher nicht kapitulieren. Vermutlich wird das auch die Bundesregierung nicht wollen. Aber sie wird meinem Eindruck nach im Sicherheitsrat am Ende isoliert da stehen.
Die Franzosen werden also in Sachen Irak irgendwann umfallen?
Maull: Sie werden nicht umfallen, aber sie werden ihre eigenen Interessen auf eine möglichst kluge Art und Weise zu schützen wissen. Und das wird wohl bedeuten, dass sie sich im Sicherheitsrat der Stimme enthalten oder einem
Militäreinsatz möglicherweise sogar zustimmen. Die Gemeinsamkeit der Positionen zwischen Berlin und Paris steht auf brüchigen Fundamenten.
In wieweit hängen die derzeitigen Schwierigkeiten mit Personen zusammen, also mit George W. Bush und Gerhard Schröder?
Maull: Ich denke schon, dass Personen da eine wichtige Rolle spielen. Der amerikanische Präsident wirkt auf mich dogmatisch. Er ist gewissermaßen ein Überzeugungstäter. Das gilt zwar so nicht für den Bundeskanzler, aber auch er ist ein Überzeugungstäter oder jedenfalls ein Wiederholungstäter! In dem Sinne nämlich, dass er im Wahlkampf - zuerst bei den Bundestagswahlen und dann noch einmal bei den Landtagswahlen - ganz eindeutig opportunistisch schweren außenpolitischen Schaden in Kauf genommen hat, um einen Wahlsieg der SPD zu ermöglichen. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten haben also schon etwas mit Personen zu tun. Das gilt übrigens auch für Joschka Fischer: Ihm werfe ich vor, dass er sich gegen den sehr problematischen Kurs des Kanzlers nicht energisch genug zur Wehr gesetzt hat, dass er letztlich nicht bereit war, einen Konflikt mit Schröder in dieser Frage zu riskieren.
Jetzt will die Bundesregierung den Druck auf den Irak erhöhen - durch weitere Inspektionen. Andererseits schließt man aber kategorisch die Teilnahme an einem Krieg und auch die Zustimmung dazu aus. Sind diese Positionen überhaupt zu vereinen?
Maull: Nein, das sind sie nicht. Diese grundsätzliche, prinzipielle Festlegung auf eine Position, die man nicht zurücknehmen kann, nimmt ein Stück des Drucks von Saddam Hussein und suggeriert ihm, - fälschlich, wie ich meine - er könne sich aus seiner misslichen Lage doch noch herauswinden.
Laut dem französisch-deutschen Vorschlag soll die Zahl der Inspektoren im Irak von derzeit 119 verdreifacht werden. Die Inspektionen sollen mehr Zeit bekommen und von Sicherheitsoffizieren begleitet werden. Ist das machbar? Und vor allem: Ist es sinnvoll?
Maull: Machbar ist es schon. Dass es sinnvoll ist im Sinne der Zielsetzungen des UN-Sicherheitsrates, - nämlich der Abrüstung des Irak - wage ich zu bezweifeln. Der Kern des Problems bei den Inspektionen ist die mangelnde Bereitschaft des Regimes, zu kooperieren und sich auf eine völlige Entwaffnung des Irak einzulassen. Irak ist ein Land von der Größe Frankreichs. Selbst wenn Sie dort 500 Inspektoren stationieren oder 1000, wäre es nicht allzu schwierig, da vieles zu verstecken.
Heißt das im Umkehrschluss: Sie befürworten als nächstes einen Militärschlag, wenn Saddam nicht kooperiert?
Maull: Nein, jedenfalls nicht so, wie das derzeit diskutiert wird. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht nur zwei Alternativen gibt, nämlich: wir verzichten entweder grundsätzlich auf die Option des Krieges, oder wir führen Krieg. Ich glaube, es gäbe dazwischen auch noch Möglichkeiten. Beispielsweise könnten die USA den militärischen Druck auf Saddam Hussein schrittweise steigern, also gewissermaßen beim Regime die Daumenschrauben anziehen.
Also gezielte Angriffe etwa gegen irakisches Militär?
Maull: Beispielsweise. Oder gegen die Paläste. Diese Schläge müssten eindeutig auf das Regime zielen und die Bevölkerung schonen. Und sie müssten Saddam Hussein signalisieren, dass die Staatengemeinschaft bereit ist, den Druck Schritt um Schritt zu erhöhen, wenn er die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsrat weiter verweigern würde. In der letzten Konsequenz würde das auch die Bereitschaft zum Krieg enthalten, aber es gäbe bis dahin eine Reihe von Zwischenschritten. Das würde Zeit schaffen für politische Veränderungen im Irak, beispielsweise für einen Staatsstreich oder auch für eine politische Lösung auf anderer Basis, beispielsweise durch eine Kapitulation und den Gang ins Exil von Saddam Hussein.
Ein "unvernünftiges Veto" im Sicherheitsrat werde ihn nicht davon abhalten, gegen Bagdad zu Felde zu ziehen, hat Tony Blair gesagt und liegt damit genau auf US-Linie. Die UN erscheinen hier als nützliches Element, um eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Wird dadurch nicht die Position der UN massiv geschwächt?
Maull: Die Autorität des Sicherheitsrates wird wohl in jedem Fall Schaden nehmen. Wenn er dem amerikanischen Wunsch zustimmt und eine zweite Resolution verabschiedet, wie sie Washington gerne hätte, dann wird er Sicherheitsrat von einer einzigen Macht dominiert und instrumentalisiert. Wenn er sich aber tatsächlich quer legen würde, wenn es also ein Veto gäbe, dann wäre auch in Zukunft immer wieder eine Blockade zwischen den zwei Lagern zu erwarten - den USA und ihren Verbündeten einerseits und den Anhängern einer multipolaren Welt andererseits. Allerdings werden die Vereinten Nationen insgesamt während und nach einem Krieg im Irak in jedem Fall wieder ins Spiel kommen. Denn die enorme humanitäre Katastrophe, die ein krieg bedeuten wurde, und dann der Wiederaufbau des Irak kann von den USA überhaupt nicht alleine bewältigt werden kann.
Dazu trägt sicher auch das Element des präventiven Krieges bei, den die amerikanische Regierung ins Spiel gebracht hat. Welche Konsequenzen hätte ein präventiver Schlag ohne Zustimmung der UN?
Maull: Ohne ein Mandat des Sicherheitsrats wäre ein solcher Krieg ganz eindeutig völkerrechtswidrig. Mit einem Mandat ist es sicherlich immer noch problematisch, weil Präventivkriege mit dem Geist des Völkerrechtes nicht vereinbar sind. Auf der anderen Seite ist es so, dass auch Resolutionen des Sicherheitsrats Elemente des Völkerrechts sind. Wenn der Sicherheitsrat zustimmt, dann haben wir also eine widersprüchliche Situation: Mehrere völkerrechtliche Normen stünden dann im Widerspruch zueinander. Das ist aber gar nicht so ungewöhnlich, weil das Völkerrecht eben keine geschlossene Rechtsordnung ist, die sie einklagen können.
Das Interview mit Professor Maull führte unser Redakteur Michael Schmitz.