"Angie"-Fieber, deutsche Wurzeln und fast ein Eklat

"Angela Merkel? Wird ja langsam Zeit, dass eure Präsidentin vorbeikommt." Mit der politischen Detailkenntnis von Jim Rector steht es nicht zum besten, doch nicht nur der Verkäufer im "Yellow Rose"-Andenkenladen zeigt sich angesichts des Besuchs der Bundeskanzlerin begeistert.

Crawford/Texas. Die erste Visite der deutschen Regierungschefin auf der Bush-Ranch im Herzen von Texas bedeutet ein gutes Geschäft für die 730-Seelen-Stadt Crawford. So verschlafen die Gemeinde mit den fünf Kirchen, dem gewaltigen Getreidesilo an der einzigen Ampelkreuzung und der Tankstelle samt "Coffee Station" sonst ist: Fürs Wochenende fliegt der US-Präsident mit dem Marinehelikopter ein und hat auch noch ausländische Prominenz auf der Gästeliste. Da wachen vor allem die Gewerbetreibenden aus ihrem Dornröschenschlaf auf. Nur 24 Stunden bevor gestern Abend Angela Merkel in Crawford erwartet wurde, stellten Angestellte im Souvenirshop "The Red Bull" eigens gefertigte Gedächtnis-Kaffeetassen ins Regal. "Vereint für Frieden und Demokratie, President George W. Bush und Bundeskanzlerin Angela Merkel, November 2007" steht auf den Trinkgefäßen, die für sechs Dollar (umgerechnet vier Euro) ringförmig aufgereiht um eine Bush-Gummipuppe made in China auf Abnehmer warten. Und dass sie wie warme Semmeln weggehen, daran zweifelt Ladenbesitzerin Jamie Burgess nicht: "Hunderte von deutschen Touristen werden kommen," sagt sie, "schließlich wurde Crawford ja von Deutschen gegründet." Sieben Generationen sei es her, dass ihre Vorväter aus Norddeutschland eingewandert und um 1865 hier die ersten Häuser errichtet hätten, sagt Burgess und winkt Polizeichef Eddie McCoy zu, der gleich nebenan sein Revier hat und angesichts seines Leibesumfangs wohl jeden Sprint gegen einen bösen Buben verlieren würde. Paketdienst bringt Devotionalien-Nachschub

Doch Verbrecher, so versichert der Sherriff, gebe es in seiner Stadt nicht. "Unsere Kriminalstatistik ist fast immer null", strahlt das gemütliche Schwergewicht. Einmal am Tag kommt der braune Wagen des Paketdienstes und bringt Nachschub an Präsidenten-Devotionalien, vom Pappkameraden Bush bis hin zu Weihnachtskarten des verschneiten Weißen Hauses. Doch an diesem Tag stecken in dem Paket vier gewaltige Deutschland-Fahnen, die die Hauptstraße schmücken sollen, wenn Angela Merkels Wagenkolonne hier auf dem Weg zu der Präsidenten-Ranch vorbeikommt. Die geplante Fahnen-Parade wird aber fast zum diplomatischen Fiasko: Als der TV-Korrespondent bittet, einmal einen Blick auf die bereits ausgepackten Flaggen werfen zu dürfen, zeigt sich: Hier in Crawford kennt man zwar den Unterschied zwischen Kalb und Ochse, nicht aber zwischen jener Fahne, die einst unter Erich Honecker für die DDR im Wind flatterte, und der Flagge der Bundesrepublik. Als die Merkel-Fans, die die Bundeskanzlerin im Umgangston auch schon mal "Angie" nennen, auf den gravierenden Bestell-Fehler aufmerksam gemacht werden, ist das Entsetzen zunächst groß - gefolgt von der Erleichterung, eine öffentliche Brüskierung des Staatsgastes und eine Blamage für die Stadtväter vermieden zu haben. Eine rotweiße Schranke blockiert die Zufahrt zum Präsidenten-Grundstück. In einem Flachbau gleich daneben logieren jene Personenschützer, die auch Angela Merkel beim rustikalen Abendessen, dem Schlummer im Gästehaus der Ranch und den Beratungen heute vormittag bewachen werden, bei denen bestehende Differenzen - sei es beim Klimaschutz oder der Iran-Politik - durch geschickte Formulierungen diplomatisch glattgebügelt werden dürften.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort