Angie, das unbekannte Wesen

WASHINGTON. Für das auf Politik spezialisierte US-Online-Magazin "Slate" ist Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel bereits eine künftige "Eiserne Lady". Doch für die große Mehrheit der US-Bürger bleibt "Angie", wie sie in einigen amerikanischen Medien genannt wird, ein unbekanntes Wesen. Noch.

"Fragt man 100 US-Bürger auf der Straße, werden vielleicht vier oder fünf wissen, dass es Schröders Gegenkandidatin ist", sagt Jackson Janes, Direktor des Instituts für Zeitgenössische Deutschland-Studien in Washington. Doch dies könne sich schnell ändern. "Schröder kannte hierzulande bis 1998 ja auch keiner", erinnert sich Janes.Einige große Nachrichten-Magazine wie "Time" oder "Newsweek" und führende Tageszeitungen wie die "Washington Post" oder "New York Times" haben dem Gerangel um die Macht in Berlin und der Hoffnungsträgerin der Union ausführliche Betrachtungen gewidmet. Und Peter Gottwald, Vize-Botschafter Deutschlands in Washington, warnt davor, das Interesse von Polit-Insidern an einem möglichen Kurswechsel in Deutschland zu unterschätzen: "Die anstehenden Wahlen sind ein Thema, das in den USA von den Deutschland Nahestehenden und Experten intensiv verfolgt wird."

Zu den "Experten" zählt man dabei natürlich auch das Weiße Haus. US-Präsident George W. Bush hat, so bemerkt Jackson Janes, bisher jede öffentliche Parteinahme für einen der Kandidaten vermieden. Doch Taten sind manchmal mehr als Worte: Als kürzlich Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble in Washington mit US-Sicherheitsberater Stephen Hadley reden sollte, stand plötzlich auch der Präsident im Zimmer und nahm sich viel Zeit für einen Gedankenaustausch.

Differenzen auch bei Regierungswechsel

Doch dass es ansonsten nicht zu klareren Aussagen im Hinblick auf die Neuwahlen kommt, hat natürlich auch einen Hintergrund: Bush wolle, das ist zu hören, dem erfahrenen Wahlkämpfer Gerhard Schröder keine Munition liefern, indem sich der Präsident in allzu großer Nähe zum Merkel-Team präsentiert. Hinter den Kulissen hat man jedoch mit Zustimmung wahr genommen, dass eine Bundeskanzlerin Angela Merkel die Beziehungen zu Paris und Moskau überdenken würde - was in Washington Hoffnungen auf bessere transatlantische Tage weckt. Auf welche Wünsche und Forderungen aus den USA müsste sich die Kandidatin im Fall eines Sieges dann einstellen? Transatlantik-Experte Janes erwartet zunächst nicht, dass das Weiße Haus massiv Anliegen vortragen würde: "Man hat begriffen, dass es keine deutschen Truppen für den Irak geben wird", sagt Janes, "in der nächsten Zeit dürften deshalb die nuklearen Ambitionen des Iran die größte Aufmerksamkeit erfordern."

Doch auch Differenzen blieben auf dem Tisch: Dazu zählt vor allem eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei, die von George W. Bush favorisiert wird. Jackson Janes warnt davor, nach einem Wahlsieg der Union übertriebene Hoffnungen in Berlin zu entwickeln, nun endlich zu einem ständigen Mitglied des UN-Sicherheitsrates werden zu können. Im US-Kongress herrsche eine äußerst negative Grundstimmung zu diesem Anliegen, die sich auch durch einen Machtwechsel in Berlin kaum ändern werde.

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