"Angst ist kein kluger Ratgeber"

TRIER. Einmal im Jahr treffen sich die 71 katholischen deutschen Bischöfe zu ihrer Vollversammlung in Fulda: vier Tage mit einem randvollen Programm. Über die Ergebnisse, die umstrittene Papst-Äußerung und seinen neuen Vollbart sprach der TV gestern zum Ende der Konferenz mit dem Trierer Bischof Reinhard Marx (53).

Herr Bischof, Sie kommen gerade aus Fulda zurück. Was war denn das dominierende Thema der diesjährigen Bischofskonferenz?Marx: Ein wichtiges Thema war das Verhältnis von Kirche und Kultur. Wir haben uns einen Tag lang damit beschäftigt, wie wichtig die Kirche auch als Kulturträger ist. Und wie wichtig es ist, dass wir als Kirche auch mit der modernen Kultur in Kontakt bleiben, aber auch unsere kulturellen Aktivitäten weiterentwickeln. Das geht von Kirchenchören bis hin zur künstlerischen Gestaltung von Kirchenräumen. Inwieweit wurde auch über die umstrittenen Islam-Äußerungen des Papstes diskutiert?Marx: Wir haben intensiv darüber gesprochen und schließlich auch eine Erklärung verfasst. Darin machen wir noch einmal deutlich, dass wir mit dem Papst voll übereinstimmen. Und dass wir das als einen Anstoß sehen, zu einem aufrichtigen und ernsthaften Dialog mit den Muslimen zu kommen. Der Papst hat auch mit seinen Äußerungen und Begegnungen danach alles gesagt und getan. Mehr ist nicht nötig. Was ist Ihre Meinung? War die Äußerung missverständlich? Oder ist sie bewusst missverstanden worden?Marx: Für mich war sie nicht missverständlich. Ich habe eher den Eindruck, dass sie bewusst missverstanden wurde. Das ist keine gute Voraussetzung für einen Dialog. Die Angst vor religiösen Eiferern treibt ja mittlerweile bunte Blüten, wie die Absetzung der Mozart-Oper "Idomeneo" in Berlin zeigt: Können Sie die Entscheidung der Intendantin nachvollziehen?Marx: Angst ist etwas sehr Existenzielles. Von daher habe ich Verständnis, wenn sich die Intendanz aus wirklichen Sicherheitsgründen für die Absetzung entschieden hat. Allerdings ist Angst nicht immer ein kluger Ratgeber. Wenn das Messer schon im Kopf steckt, wird eine Kultur gefördert, die erschreckend ist. Uns passt ja auch nicht alles, was die Presse schreibt, das wissen Sie selbst. Der Islam muss genauso kritisiert werden können wie die katholische Kirche. Das schließt Respekt vor dem, was Menschen heilig ist, ein. Die Bischöfe haben sich in Fulda auch mit dem alten Messritus befasst, der ja auch in Trier etwa von der umstrittenen Piusbruderschaft zelebriert wird. Während die Bischöfe in Fulda gesagt haben, die Zahl der teilnehmenden Gläubigen sei auf einem konstant niedrigen Niveau, spricht die Piusbruderschaft von einem wahren Boom und erklären die Liturgiereform für gescheitert. Wer hat denn nun Recht?Marx: Man muss vor allem erst einmal genau unterscheiden: Die Priesterbruderschaft St. Pius X. gehört nicht zur römisch-katholischen Kirche und agiert außerhalb von ihr. In Trier handelt es sich dagegen um eine Gruppe, die innerhalb der Kirche den alten Messritus pflegen will. Das habe ich erlaubt. Der Zuspruch ist, wie ich höre, auf insgesamt geringem Niveau konstant. Ein wachsendes Interesse, das belegt eine aktuelle Umfrage, ist bundesweit nicht feststellbar. Die Liturgiereform ist ganz sicher nicht gescheitert. Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche geht neuerdings zurück, während die Zahl der Eintritte wieder steigt: Woran liegt die neue Frömmigkeit?Marx: Das ist ein bisschen zu optimistisch gesehen: Es gibt immer noch mehr Aus- als Eintritte. Aber es gibt auch eine neue Wahrnehmung von Religion und christlichem Glauben, worüber wir uns freuen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Die Wahl eines Deutschen zum Papst und der Weltjugendtag des vorigen Jahres haben sicher dazu beigetragen. Die Bischofskonferenz hat den globalen Klimawandel als die wohl umfassendste Bedrohung menschenwürdiger Existenz bezeichnet: Warum beschäftigt sich die Kirche mit einem solchen Thema?Marx: Alle sozial-ethischen Themen sind wichtig. Der Klimawandel betrifft alle, besonders die Armen. Und alles, was Auswirkungen hat auf das Leben der Menschen und deren Entfaltungsmöglichkeiten, hat eine sozial-ethische Bedeutung und ist damit auch ein Thema für die Kirche. ...wie das Thema Gerechtigkeit: Heute hat die inzwischen verkaufte Siemens-Handysparte Insolvenz angemeldet, gleichzeitig erhöhen sich die Vorstandsmitglieder ihre Gehälter um 30 Prozent. Ist das gerecht?Marx: Ich halte das für dreist. Wir entwickeln uns immer mehr von einer sozialen Marktwirtschaft zu einem Kapitalismus, bei dem nur noch die Rendite zählt und bei dem die Leute honoriert werden, die nur die Kapitalrendite im Auge haben. Die anderen Ziele von Unternehmen - wie etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen - werden nicht mehr gesehen. Das ist eine Fehlentwicklung. Purer Kapitalismus ohne soziale Verantwortung: Da bekäme der andere Trierer Marx ja noch recht. Und das fände ich schlimm. Die Bischöfe haben sich auch mit den Ladenöffnungszeiten befasst. Was halten Sie von der in Rheinland-Pfalz geplanten Regelung, nach der werktags die Läden bis 22 Uhr geöffnet bleiben dürfen?Marx: Wir sind bei der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten immer zurückhaltend bis skeptisch gewesen. Man muss vor allem an die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen denken, die dort beschäftigt sind. Zudem ist es eine Illusion zu glauben: Je länger die Läden offen sind, desto mehr wird eingekauft. Gegen eine gewisse Flexibilisierung habe ich aber nichts, wenn der Sonntag tabu bleibt. Was die Gläubigen im Bistum mindestens genauso interessiert wie die Ergebnisse der Bischofskonferenz: Warum hat Triers Bischof plötzlich einen Bart? Und kommt er ab, oder bleibt er dran?Marx: Manchmal schwanke ich noch. Aber ich habe ja auch früher schon gerne einen Bart getragen... ...der angeblich ab musste, als Sie Weihbischof von Paderborn wurden...Marx: Er musste nicht weg. Aber ich war damals der einzige Bartträger in der Bischofskonferenz und dachte: Ist vielleicht doch nicht gut. Im Urlaub lasse ich den Bart aber immer wachsen. Und jetzt kam ich mit Bart zurück, und einige haben gesagt: Lassen Sie ihn stehen. Und das mache ich jetzt erst mal auch. Einen Bart hat ja auch Triers zukünftiger Oberbürgermeister Klaus Jensen. Ihnen wäre doch wahrscheinlich ein Wahlsieg seines Kontrahenten Ulrich Holkenbrink, des Bruders Ihres Generalvikars, lieber gewesen?Marx: Alle Macht den Bärtigen. Nein, im Ernst: Die Kirche hat sich dazu nicht geäußert, das sollte sie auch nicht. Ich habe dem neuen OB gratuliert und ihm Gottes Segen gewünscht. Der Bischof oder die Kirche sollte den Leuten nicht vorschreiben, wen oder was sie zu wählen haben. Mit Bischof Reinhard Marx sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

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