Arbeitsmarktforscher im Interview: Vollbeschäftigung mit guter Arbeit

Berlin · Im TV-Interview hält der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber das Unions-Wahlversprechen für realistisch, aber teuer.

 Enzo Weber.Foto: privat

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Foto: (C) Jutta Palm-Nowak (g_pol3 )

Berlin Vollbeschäftigung, das gab es nach dem Wirtschaftswunder von 1960 bis Mitte der 70er Jahre in Deutschland. In ihrem gemeinsamen Wahlprogramm verkünden nun CDU und CSU erneut dieses verlockende Ziel. Unsere Redaktion fragte den Experten Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, ob und wie das erreichbar ist. Derzeit liegt die Arbeitslosenquote bundesweit noch bei 5,5 Prozent, in der Region Trier sind es aktuell 3,5 Prozent.

Ist das CDU-Ziel der Vollbeschäftigung bis 2025 realistisch?
Enzo Weber: Es ist zweifellos sehr ambitioniert. Die Hürden sind hoch, gerade wenn man sich die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit anschaut. Das ist sicher ein ganz dickes Brett. Trotzdem, man kann das erreichen, aber eher bis 2030.

Was ist Vollbeschäftigung?
Weber: Formal ein Zustand, in dem die Arbeitslosenquote etwa bei zwei bis drei Prozent liegt. Diesen Rest wird man auch in einem optimalen Arbeitsmarkt immer haben, einfach weil es Bewegung und Veränderung gibt. Das ist auch sinnvoll so, damit die richtigen Leute und die richtige Arbeit zueinanderfinden.

Geht es um irgendeine Vollbeschäftigung oder um eine Arbeit, die gut entlohnt wird, und die auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erlaubt?
Weber: In der Tat, Vollbeschäftigung ist kein rein statistischer Begriff, sondern ein Wert. Und so muss sie auch definiert werden. Eine geringe Arbeitslosenzahl, die damit erkauft wird, dass man immer mehr Menschen in schlechte Arbeitsverhältnisse drückt, wäre keine Vollbeschäftigung. Das Wort ist positiv besetzt und muss es bleiben. Es geht also auch um die Aufwertung der Arbeit - bei niedriger Arbeitslosenquote.

Die CDU wird sogar noch präziser. Sie sagt auch ausdrücklich, dass sie die Vollbeschäftigung in allen Landesteilen erreichen will, ob Ost oder West, Nord oder Süd. Ist das ebenfalls realistisch?
Weber: Das muss man verlangen, wenn man Vollbeschäftigung erreichen will. In manchen Landkreisen in Süddeutschland liegen wir ja schon bei unter drei Prozent Arbeitslosigkeit. Es geht also darum, Verbesserungen vor allem dort herbeizuführen, wo die Situation noch nicht so gut ist. Wenn man sich die enorme Entwicklung gerade in Ostdeutschland in den letzten zehn Jahren anschaut, sind auch große Fortschritte durchaus erreichbar.

Was muss denn geschehen, um beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit von ungefähr einer Million substanziell weiter zu kommen?
Weber: Einen ganz großen Wurf wie bei den Arbeitsmarktreformen 2003 bis 2005 wird es hier nicht mehr geben können. Jetzt wird es immer schwieriger, weil die verbliebenen Fälle schwieriger sind. Man muss sicherlich viel Geld in die Hand nehmen und auf die einzelnen Fälle sehr individuell eingehen. Das bedeutet individuelle Beratung, Qualifikation und Betreuung.

Wie viel Geld muss man denn in die Hand nehmen?
Weber: Mit ein paar Hundert Millionen wird es nicht getan sein. Es geht um einen längeren Zeitraum, also um Milliarden. Aber man spart dadurch auch viel, nämlich einen größeren Teil der Kosten der Arbeitslosigkeit. 2015 betrugen sie insgesamt, die Steuerausfälle eingerechnet, 56 Milliarden Euro.

Durch den digitalen Wandel, die Industrie 4.0, droht ein neuer, drastischer Verlust von Arbeitsplätzen. Wäre es nicht sinnvoller, die Milliarden einzusetzen, um sich dagegen zu wappnen, statt die letzten Langzeitarbeitslosen mühsam in irgendeinen Job zu bringen?
Weber: Beides muss gelingen. Uns steht ein neuer Strukturwandel bevor, und es besteht ein großes Risiko, dass dabei viele Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben. Wenn diese Menschen erst einmal in der Arbeitslosigkeit gelandet sind, werden sie es schwer haben, dort wieder herauszukommen. Das wissen wir aus vergangenen Entwicklungen. Wir brauchen in Deutschland eine Weiterbildungspolitik auf dem gleichen Niveau wie die Bildungspolitik, denn von dem Strukturwandel werden die jetzt Beschäftigten betroffen sein.

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