Arbeitswelt lastet auf der Psyche

BERLIN. Nach dem Gesundheitsreport der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK)sind psychische Erkrankungen inzwischen die vierthäufigste Ursache für Fehltage in Betrieben. Diese Art von Erkrankungen nehmen zu, obwohl die krankheitsbedingten Fehltage insgesamt abnehmen.

Professor Iver Hand vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf schlägt Alarm: "Aus meiner Sicht sind die Angst um den Arbeitsplatz, die massiv zunehmende Arbeitsbelastung, der Verlust der Mitarbeitersolidarität sowie die Angst, unter steigendem Leistungsdruck zu versagen oder krank zu werden, die wichtigsten arbeitsbedingten Faktoren für die Genese psychischer Erkrankungen". Der jüngste Gesundheitsreport der DAK liest sich wie eine Bestätigung dieses dramatischen Befunds. Nach einer Datenauswertung bei 2,6 Millionen Erwerbstätigen ist der Krankenstand im Vorjahr zwar auf ein Rekordtief gesunken. Von 1000 Arbeitnehmern waren an jedem Tag lediglich 32 krankgeschrieben (2003: 35). Gleichzeitig gingen jedoch die Fälle bei psychischen Erkrankungen seit 1997 um 70 Prozent nach oben. Jeder siebte Berufstätige ist oder war schon einmal wegen eines psychischen Problems in professioneller Behandlung. Jeder zehnte Krankheitstag gehe auf eine psychische Erkrankung zurück, klagt DAK-Chef Herbert Rebscher. Dabei macht das Phänomen vor kaum einer Altersgruppe halt. So gelten psychische Leiden bereits als Hauptursache für Frühverrentungen. Während der Anteil vor zwölf Jahren noch bei 18 Prozent lag, sind es mittlerweile schon 31 Prozent. Bei jüngeren Menschen ist sogar ein überproportionaler Anstieg der psychischen Probleme zu verzeichnen. Das gilt besonders für weibliche Patienten zwischen 15 und 29 Jahren sowie männliche Patienten zwischen 15 und 34 Jahren. "Es ist zu vermuten, dass die Veränderungen in der Arbeitwelt, der Zeitdruck, die Arbeitsverdichtung und die Arbeitsplatzunsicherheit mit dieser Entwicklung im Zusammenhang steht", konstatiert Rebscher. Hans-Dieter Nolting vom Institut für Gesundheits- und Sozialforschung in Berlin teilt diese Einschätzung: Arbeitnehmer hätten zunehmend mit Leistungsdruck, Zukunftsängsten und Überforderung durch wechselnde Arbeitsanforderungen zu kämpfen. Wenigstens ein positiver Effekt lässt sich durch den dramatischen Anstieg psychischer Leiden beobachten: Anders als noch vor wenigen Jahren ist die Krankheit kein öffentliches Tabu mehr. Eine Umfrage der DAK ergab, dass 82 Prozent der Befragten von einer verbesserten Akzeptanz psychischer Krankheiten ausgehen. In der betrieblichen Realität relativiert sich jedoch das Bild: 30 Prozent der Arbeitnehmer glauben, dass der Chef wenig Verständnis zeigt, wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme mit dem Krankenschein kommt.

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