Arm trotz Arbeit

TRIER. Ein Vollzeitjob und dennoch kaum Geld für das Nötigste: Für viele Beschäftigte in Deutschland ist das bitterer Alltag. Kritiker machen auch den Gesetzgeber für das Lohndumping verantwortlich. Gegenrezepte sind derweil umstritten.

In Hamburg machte neulich ein Zimmermädchen Schlagzeilen: Die Frau erhielt in einem hochklassigen Hotel einen Brutto-Stundenlohn von 2,46 Euro, obwohl der Tarifvertrag 7,87 Euro vorschreibt. Eine Lokalzeitung berichtete über den Fall - und konnte sich kaum wehren vor Anrufen und Mails von Menschen, die unter ähnlichen Bedingungen arbeiten. Rund drei Millionen Deutsche, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, haben Anspruch auf ergänzende Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) II. Nach Angaben des Instituts für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen (IAT) arbeiten rund 21 Prozent der Beschäftigten in Deutschland im Niedriglohnbereich, also deutlich unterhalb des Durchschnittseinkommens. Insgesamt sind das mehr als sechs Millionen Menschen. Dass Beschäftigte zu wenig verdienen, um davon leben, geschweige denn, eine Familie ernähren zu können, ist auch in der Region ein Problem. "Dieser Tage war eine Floristin bei mir, die knapp 1000 Euro netto bezog - trotz Vollzeit-Stelle und Sechs-Tage-Woche", berichtet Rainer Gehring, Bezirksgeschäftsführer Saar-Trier der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Besonders dramatisch sei die Situation in der Gebäudereinigungs-Branche. "Arbeitgeber umgehen den Tariflohn, indem sie ihre Leute mit Pauschalen abspeisen", sagt Gehring. Genau das ist dem Hamburger Zimmermädchen passiert: Ihr Dienstherr zahlte pro geputztes Zimmer eine Pauschale von 3,50 Euro. Die Frau war für eine Suite zuständig (in der die Übernachtung bis zu 1275 Euro kosten soll), brauchte dafür entsprechend lange und erhielt während der übrigen Arbeitszeit kaum Aufträge. Alternativen zu gesetzlicher Untergrenze

Der Preisdruck, der zu solchen Situationen führt, sei teilweise hausgemacht, werfen Gewerkschaften der Bundesregierung vor. Durch die Regelung, dass niedrige Einkommen über das Alg II aufgestockt werden können, würden die Löhne systematisch gedrückt, sagt Michael Schlecht, Chefvolkswirt beim Verdi-Bundesvorstand. Das funktioniere so: Unternehmer kündigten eine Senkung des Stundenlohns an und argumentierten, die Beschäftigten könnten sich die Differenz größtenteils über das Alg II wieder hereinholen. "Damit geraten Konkurrenzbetriebe, die ihre Beschäftigten noch anständig bezahlen, unter Druck", sagt Schlecht. Harald Herres, Bereichsleiter der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bei der Caritas in Trier, macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: "Es gibt zunehmend Menschen, die ausschließlich von geringfügigen Beschäftigungen leben." Hintergrund: Unternehmen reduzierten ihre Stamm-Belegschaften und besetzten die weggefallenen Stellen mit billigeren Geringverdienern. Auf der Suche nach Gegenmitteln streitet die Politik derzeit vor allem über einen gesetzlichen Mindestlohn, wie es ihn in den meisten europäischen Ländern bereits gibt. Für Deutschland ist eine Untergrenze von 7,50 Euro pro Stunde im Gespräch. In Luxemburg beispielsweise liegt sie deutlich höher. "Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht", sagt Luxemburgs Wirtschaftsminister Jeannot Krecké, "und auch Deutschland würde mit einem Mindestlohn überleben." Ein Schritt in diese Richtung ist der vor Kurzem per Ausdehnung des Entsendegesetzes beschlossene Mindestlohn für Gebäudereiniger von 7,87 Euro. Solche Alternativen ziehen viele Befürworter des Mindestlohns einer gesetzlichen Untergrenze vor - auch, weil sie am ehesten durchzusetzen sein dürften. So strebt Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) von den Tarifpartnern ausgehandelte Mindestlöhne an, die auch in Unternehmen ohne Tarifbindung gezahlt werden sollen. Kritiker halten entgegen, das funktioniere nur, wenn die Tarifpartner existenzsichernde Löhne aushandelten. Dass das nicht immer der Fall ist, beweist das thüringische Friseurhandwerk: Dort liegt der tarifliche Stundenlohn bei 3,82 Euro.

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