Armut macht krank

Berlin . Es ist ein Teufelskreis, aus dem man nur selten entkommt. "Kinder, die heute in Armut leben, bleiben arm, und auch ihre Kinder werden arm sein", sagt der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Manfred Ragati. Kurzum - Armut wächst mit, wie einegestern in Berlin von der Awo vorgestellte Studie belegt.

In Deutschland gibt es zweifellos ein Armutsproblem bei Kindernund Jugendlichen. Ende 1999 lebten rund 14 Millionen unter18-Jährige in der Republik, davon rund zwei Millionen in einemHaushalt, der gemäß EU-Definition als relativ arm einzuordnenist. Das heißt, der "über so geringe Mittel verfügt, dass er vonder Lebensweise ausgeschlossen ist, die in dem Mitgliedsland alsMinimum annehmbar ist", wie Brüssel formuliert. Damals wie heuteerhielten rund eine Million Minderjährige Sozialhilfe. Angesichtssteigender Arbeitslosigkeit rechnen Experten inzwischen mit einerdeutlichen Zunahme. Speziell mit den Folgen der Armut für Kinder im frühen Grundschulalter beschäftigt sich die von der Awo vorgestellte Studie des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS), die die Fortsetzung einer bereits durchgeführten Untersuchung aus dem Jahr 2000 ist. Die Situation der damals beobachteten 900 Kinder und Jugendlichen "hat sich bis auf wenige Ausnahmen verschärft - und damit die Folgen", so Awo-Chef Ragati. Bei 90 Prozent sei der gesundheitliche Zustand "massiv" schlechter geworden, berichtet Gerda Holz vom ISS.

Aus Einzelgängern, die arme Kinder bereits im Kindergraten waren, "sind in der Grundschule Außenseiter geworden". Die Kinder selbst beginnen ab etwa sechs Jahren damit, ihre Armutssituation wahrzunehmen und reagieren darauf oft aggressiv und mit dem Versuch, ihre Lage zu verschleiern. Ihre Kindheit müssen sie meist ohne Fürsorge der Eltern bewältigen, die wenig in den Tagesablauf des Nachwuchses eingebunden sind. Beispielsweise gibt es laut Studie keine gemeinsamen Mahlzeiten, keine Hilfen bei Schulaufgaben, keine gemeinsamen Familienaktivitäten.

Eltern in ärmeren Familien sind zunehmend mit der Betreuung überfordert, weil sie vorwiegend mit der finanziellen Absicherung beschäftigt sind. Eine weitere Armutsursache ist vielfach das Fehlen der Väter: "Sie spielen in armen Familien oft weder als Ernährer noch als Erzieher eine Rolle", erläutert Expertin Holz.

Awo verlangt Förderung realistischer Familienmodelle

Aus der Armutsfalle auszubrechen gelingt nur selten, "weil auch die Bildungschancen armer Kinder deutlich geringer sind", wie Ragati kritisiert. Faktoren, die die ungünstigen Wirkungen der materiellen Knappheit abfedern können, gibt es allerdings: Beispielsweise ein gutes Familienklima, ein fördernder Erziehungsstil der Eltern "sowie das Vorhandensein möglichst stabiler, familiärer Netzwerke und außerfamiliärer Entfaltungsräume", heißt es in der Untersuchung.

Nach Ansicht der Awo steht jedoch ganz besonders die Politik in der Pflicht: Sie müsse endlich die neuen "realistischen Familienmodelle" stärker fördern und Steuerrecht und staatliche Hilfen daran ausrichten. Zudem setzt sich der Wohlfahrtsverband bei seinem Kampf gegen die Armut in der Kinderstube für einkommensabhängige Kinder- und Familienförderung ein.

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