NRW-Wahl am Sonntag: "Auch die schwächere Partei ist kanzlertauglich"

Berlin · Die Wahl am Sonntag in Nordrhein-Westfalen ist laut Parteienforscher Jürgen Falter noch nicht entschieden. Welchen Einfluss hat sie auf die Bundestagswahl?

Berlin. Auch wenn die SPD in Nordrhein-Westfalen am Sonntag die Wahl verlieren würde, müsste ihr Spitzenkandidat Martin Schulz seine Hoffnungen auf die Kanzlerschaft noch nicht begraben. Das erklärte der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Vetter.

Herr Falter, wie viel Bundestagswahl steckt in der NRW-Wahl?

Jürgen Falter Natürlich steckt davon etwas drin. Aber sie mit der Wahl im Bund gleichzusetzen, wäre völliger Unsinn. Erstens sind bis dahin immer noch gut vier Monate Zeit. Zweitens ist NRW nur ein Teil der Bundesrepublik, der Osten spielt dort ebenso keine Rolle wie die Mentalitäten der Südländer, also der Bayern oder Schwaben. Und drittens sind auch landesspezifische Aspekte, vom Strukturwandel bis zum Dauer-Stau, für den Wahlausgang nicht zu unterschätzen.

Seit der Saarland-Wahl ist die Union im Aufwind. Folgt dem Schulz-Hype wieder der Merkel-Hype?

Jürgen Falter Sagen wir mal so, es ist wieder eine gewisse Normalität eingetreten. Das war auch zu erwarten. Denn wenn das mediale Interesse an Schulz nachlässt, dann lässt auch seine Wirkung etwas nach. Und in dem Maße, wie Schulz Stellung nehmen musste zu inhaltlichen Problemen, bröckelte auch die allgemeine Zustimmung für ihn wieder etwas ab. Denn politische Festlegungen polarisieren natürlich auch in Gegner und Befürworter.

Das heißt, die Union macht deshalb Boden gut, weil der Stern der SPD wieder gesunken ist?

Jürgen Falter Nicht nur. Das hat auch damit zu tun, dass Angela Merkel einmal mehr wie der Fels in der Brandung wirkt. Gerade in schwierigen Zeiten, siehe Trump-Wahl, kommt ihre Verlässlichkeit wieder stärker zum Tragen. Viele sagen sich, da weiß man, was man hat, bei Schulz weiß man das nicht so recht.

Kann Schulz noch Kanzler werden, falls die SPD in NRW verliert?

Jürgen Falter Ja, das denke ich schon. Kanzler wird man, indem man mehrheitsfähige Koalitionen schmiedet. Und da kann auch die schwächere Partei den Kanzler stellen, wie wir seit 1969 durch die damalige Kanzlerschaft von Willy Brandt wissen. Außerdem ist die Bundestagswahl erst im Herbst. Da kann auch die Union noch Fehler machen. Eine deutliche Niederlage der SPD in NRW, gar der Verlust der Ministerpräsidentschaft, würde es Schulz allerdings sehr schwer machen.

War es klug von NRW-Regierungschefin Kraft, eine Koalition mit den Linken auszuschließen?

Jürgen Falter Das war unbedingt notwendig. Zum einen sind die NRW-Linken die linkesten aller Linken, also radikale Gesellschaftsveränderer, die schwerlich mit einer Pragmatikerin wie Hannelore Kraft harmonieren könnten. Und zum anderen hätte das für die CDU zusätzlich mobilisierend gewirkt. Krafts Festlegung war richtig, sie hat es nur ein bisschen spät und noch immer nicht eindeutig genug gesagt. Ihre Absage ist auslegungsfähig.

Etwa jeder dritte Wahlberechtigte in NRW ist noch unentschieden. Was könnte hier am Ende den Ausschlag geben?

Jürgen Falter Da kann man nur spekulieren. Es kann an den Themen liegen, die noch die Zeit bis zur Schließung der Wahllokale prägen. Erfahrungsgemäß machen Unentschlossene ihr Kreuzchen aber meistens dort, wo sie es auch schon früher gemacht haben. Möglich wäre aber auch ein Underdog-Effekt, also, dass viele sagen, von der CDU will ich dann doch nicht regiert werden. Wirklich genau wird das aber erst am Sonntagabend nach 18 Uhr oder sogar erst gegen Mitternacht feststehen.
Stefan Vetter

Interview JÜRGEN FALTERExtra: ZUR PERSON: JÜRGEN FALTER


(red) Jürgen Wilfried Falter (geboren am 22. Januar 1944 in Heppenheim an der Bergstraße) ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er bekleidete Professuren an der Hochschule der Bundeswehr München (1973-1983), der Freien Universität Berlin (1983-1992) und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (1993-2012). Seit 2012 ist er Forschungsprofessor in Mainz. Quelle: Wikipedia

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