Auf Suche nach einer neuen Strategie

BAGDAD/WASHINGTON. Nach dem blutigen Anschlag auf die UN-Vertretung in Bagdad stellen sich in Washington Fragen nach der richtigen Strategie. Der Druck auf das Weiße Haus wächst.

Die Dokumentation, die am heutigen Donnerstag amerikanische Diplomaten gemeinsam mit britischen Kollegen im UN-Sicherheitsrat vorlegen wollen, trägt einen viel versprechenden Titel: "100 Tage Fortschritt im Irak". Doch seit dem verheerenden Bombenanschlag auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Bagdad wird im US-Außenministerium vor allem eines getan: umgeschrieben. Zudem will man die jüngsten Terror- und Sabotageakte dazu nutzen, den Druck auf andere Staaten zu erhöhen, mehr zur Stabilisierung des Landes beizutragen als bisher. "Die internationale Gemeinschaft muss ihre Bereitschaft zu helfen erneuern", appellierte US-Außenminister Colin Powell am Dienstagabend. Gefundenes Fressen im Wahlkampf

Dass man in Washington jedoch durchaus auch Zweifel daran hegt, dass ausgerechnet ein blutiger Anschlag den Willen zu militärischen Hilfestellungen fördern wird, wurde dann aus einer eher flehentlichen Stellungnahme des jäh beim Golfspiel unterbrochenen Präsidenten deutlich: "Die zivilisierte Welt darf sich jetzt nicht einschüchtern lassen." Das Weiße Haus, durch die Attacke auf die UN-Verwaltungsstelle mit einem weiteren Tiefschlag im Bemühen um die Stabilisierung des Landes getroffen, sah sich sogleich auch mit einer Opposition konfrontiert, die immer genüsslicher die Finger in die Wunde einer wenig überzeugenden Nachkriegspolitik legt. Der Vietnam-Veteran und demokratische Senator John Kerry, ein potenzieller Herausforderer Bushs bei den Wahlen im nächsten Jahr, attackiert bereits den Präsidenten, "ohne einen Plan für den Frieden und die Sicherheit unserer Truppen zu sein". Und Mit-Bewerber Joseph Lieberman, der noch im Frühjahr vorbehaltlos den Irak-Krieg unterstützt hatte, hält es nach dem jüngsten Anschlag für kaum noch gerechtfertigt, von wirklichem Fortschritt und Stabilisierung zu reden. Die Supermacht als unfähige Besatzungsmacht - dieses ungünstige Bild wird nach Ansicht von UN-Diplomaten den US-Präsidenten zum Überdenken der bisherigen Strategie zwingen. "Die derzeitige Lage schreit nach einem breiteren internationalen Engagement", analysierte der UN-Vertreter Mexikos im Sicherheitsrat, Adolfo Zinser. Doch Zinser wie auch andere UN-Vertreter sehen weiterhin "großes Zögern" bei anderen Nationen, Geld und Truppen "unter der Befehlsgewalt der Besatzungsmächte bereit zu stellen". Auch wenn es in Washington bisher keine erklärten Absichten gibt, sich von einer Führungsrolle im Irak zu verabschieden, so könnten doch nach Ansicht von Beobachtern weitere spektakuläre Anschläge hier ein Umdenken erzwingen. Vor allem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, so ist zu hören, sträubt sich jedoch weiter gegen eine Teilung der Macht mit der UN-Bürokratie. "Guerillakriege können nicht von ausländischen Truppen gewonnen werden", hieß es gestern im Pentagon, "diese Art Probleme müssen vom betroffenen Land gelöst werden." Deshalb setzt man im Pentagon weiter auf eine rasche Übergabe weiterer Sicherheitsbefugnisse an die Iraker selbst - weil man glaubt, dass einheimische Kräfte von Extremisten nicht in einem Umfang ins Visier genommen werden, wie dies derzeit täglich mit den Truppen der "Koalition der Willigen" geschieht. Von einer Erhöhung der eigenen Truppenstärke möchte Donald Rumsfeld derzeit nichts wissen - zum einen, weil die Stimmung in den USA in dieser Frage äußerst gespalten ist. Andererseits wäre eine solche Entscheidung auch ein klares Eingeständnis, mit der bisherigen Strategie gescheitert zu sein.

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