Auf dem Weg ins Abseits

BERLIN. Glaubt man den Worten von Gerhard Schröder, dann ist es um das rot-grüne Kabinetts-Team gut bestellt. Der Kanzler ist so zufrieden mit der Arbeit seiner Minister, dass er auf die ursprünglich geplante Kabinettsumbildung sogar verzichten will - angeblich jedenfalls.

Die Erfahrung lehrt, dass Absichtserklärungen in der Politik mit Vorsicht zu genießen sind und mitunter ein schnelles Verfallsdatum aufweisen. Neue oder vermeintlich neue Sachverhalte begründen neue Bewertungen einer Situation, und schon gilt nicht mehr, was zuvor noch reine Wahrheit war. Mag sein, dass Schröder tatsächlich vorhat, mit der Startmannschaft des Jahres 2002 bis zum bitteren Ende durchzuhalten. Dem Vernehmen nach haben ihn die Umstände dazu gezwungen, von der ins Auge gefassten Personal-Rochade Abstand zu nehmen. Einer der wenigen Aktivposten im Kabinett, Verteidigungsminister Peter Struck, habe sich geweigert, den undankbaren Job des Finanzministers zu übernehmen, hieß es. Insbesondere, um den erfolgreichen EU-Kommissar Günther Verheugen als neuen Soldaten-Minister zu verhindern. Damit sei das ganze Plan-Konstrukt des Kanzlers in sich zusammen gefallen. Und weil sich auch die formidable Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan nicht habe weichklopfen lassen, das Bildungs- und Forschungsressort (von Edelgard Bulmahn) zu übernehmen, seien Schröders Kabinettsumbaupläne eben in der Schublade gelandet. Das muss aber nicht viel heißen, denn eine Schublade ist schnell wieder aufgezogen. Zudem könnten andere Personen diesen Prozess befördern, "Superminister" Wolfgang Clement zum Beispiel. Wenn der reformwütige Kabinetts-Star hinschmeißen würde, was so mancher Beobachter durchaus für möglich hält, wäre eine Kabinettsumbildung unausweichlich. Zwar müht sich Clement nach Kräften, seine Enttäuschung über die politische Entwicklung im allgemeinen und seinen nachlassenden Einfluss (durch den Wechsel im SPD-Parteivorsitz) im Besonderen zu kaschieren. Doch ist der ehemalige Ministerpräsident des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen ("Da hatte ich noch ein allseits respektiertes Amt") trotz vielfältiger Talente ein schlechter Schauspieler. Sein unduldsames Naturell, das sich oft in spontanen (Wut-)Ausbrüchen ein Ventil sucht, verrät seine wahre Befindlichkeit. Und die wippt wie ein Weberschiffchen ständig hin und her, zwischen Zweckoptimismus und tiefer Verzweiflung.Angeblich unbeliebter als Westerwelle

Im "Spiegel" ist nachzulesen, was manche wussten und viele ahnten: Clements Extra-Touren gehen mittlerweile auch dem Kanzler auf den Geist. "Der Wolfgang nervt", wird Schröder zitiert. Der Regierungschef steht mit dieser Einschätzung nicht alleine: Das gesamte Kabinett stöhnt auf, wenn der Kollege Clement mal wieder eine seiner (unabgesprochenen) Ideen los lässt, vorzugshalber in der "Berliner Zeitung". Auch in der SPD-Bundestagsfraktion liegt Clement im Ranking der unbeliebtesten Politiker weit vorn. Manche sagen: noch vor dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. Und das will was heißen bei den Genossen. Ob er die Ausbildungsplatzabgabe torpediert oder die Bürgerversicherung schlecht redet, ob er (gegen den Willen des Finanzkollegen Hans Eichel) die Umsatzsteuerzahlung für Unternehmen verändern oder den Sparerfreibetrag abschaffen will, immer wieder prescht der Wirtschaftsminister vor und sorgt so für Schlagzeilen. Einen "Egomanen" hat ihn die SPD-Präsidin Andrea Nahles deshalb genannt, aber das lässt ihn kalt: Clement nimmt die junge Linke nicht ernst. Er nimmt, außer sich selbst, allenfalls noch Schröder, Innenminister Otto Schily und Außenminister Joschka Fischer ernst. Der zum Aufbrausen neigende 63-Jährige, der "am liebsten zehn Klaviere gleichzeitig spielt" (ein Mitarbeiter), glaubt eben, nur auf diese Weise willensschwache Geister aufrütteln und Dynamik erzeugen zu können. Offiziell hieß es am Montag, der Kanzler sei "überhaupt nicht genervt" von seinem Superminister, mit dem er gerne zusammen arbeite. Eine kühne Behauptung angesichts der Tatsache, dass Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering zu Clements Entsetzen längst einen Gang zurück geschaltet haben. In Berlin hält sich jedenfalls hartnäckig das Gerücht, dass "die Umstände" im Herbst eine Kabinettsumbildung erzwingen könnten. Bleibt der ersehnte Aufschwung bis dahin nämlich aus, könnte eintreten, was ein Regierungschef schon einmal prophezeite: "Dass wir pfleglich miteinander untergehen." Der Kanzler hieß damals Helmut Kohl.

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