Auf der Suche nach dem Gesicht des Neubeginns

Washington · Die Mitte-Links-Partei bleiben oder sich vom Zentrum wegbewegen? Darüber tobt unter den US-Demokraten ein Richtungsstreit.

Washington Pete Buttigieg mag es, dass mancher bei dem Versuch, ihn in ein Raster zu pressen, fast verzweifelt. Einerseits ist er schwul, andererseits ein passionierter Jäger. Manchmal witzelt er, dass er den Morgen des Thanksgiving-Fests mit dem Vater seines homosexuellen Freundes auf der Hirschjagd verbrachte. Er hat an den Elite-Universitäten Harvard und Oxford studiert, war Unternehmensberater bei McKinsey, heute ist er Bürgermeister von South Bend, einer gebeutelten Industriestadt im mittelwestlichen Rostgürtel. "Der interessanteste Bürgermeister, von dem Sie noch nie gehört haben", schrieb die Washington Post, als Buttigieg noch völlig unbekannt war.
Dass der aufstrebende Star der US-Demokraten in Zukunft noch eine wichtige Rolle spielt, gilt als sicher. Die Frage ist, ob er sie schon jetzt spielen kann. Ob die Partei dem 35-Jährigen, der sich um den Vorsitz ihres Nationalkomitees bewirbt, schon jetzt den Vorzug vor erfahreneren Anwärtern gibt.
Die Demokraten ringen darum, wer - wenn man so will - das Gesicht ihres Neubeginns sein soll. Noch sind sie damit beschäftigt, die Wahlschlappe vom November zu verdauen. Nicht nur das Weiße Haus haben sie an die Republikaner verloren, auch im Kongress bleiben sie in beiden Kammern in der Minderheit, und in den fünfzig Bundesstaaten stellen sie nur noch etwa ein Drittel der Gouverneure. Schließlich wird der Oberste Gerichtshof zu einer konservativen Mehrheit zurückkehren, falls Neil Gorsuch, Donald Trumps Kandidat für einen seit zwölf Monaten vakanten Posten der Neunerrunde, das Bestätigungsverfahren im Senat übersteht. In der Talsohle stehen die Demokraten an einer Wegscheide. Bleiben sie die Mitte-Links-Partei, die sie unter den Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama waren, mehr Mitte als links? Oder bewegen sie sich weg vom Zentrum?
Bernie Sanders stellt die Frage so: "Bleiben wir bei der gescheiterten Strategie des Status quo oder bauen wir die Demokratische Partei fundamental um?" Der 75 Jahre alte Senator aus Vermont bestimmt den Richtungsstreit maßgeblich mit, obwohl er kein Mitgliedsbuch der Partei besitzt und streng genommen als Unabhängiger im Kongress sitzt.
Wäre Sanders im Wahlfinale gegen Trump angetreten, glauben zumindest seine Anhänger, hätte er das Duell wohl für sich entschieden, weil er anders als Hillary ein Aufbegehren gegen das Establishment symbolisierte, ähnlich wie der populistische Milliardär, nur eben von links. So hypothetisch das alles klingt, die moralische Autorität des kantigen Veteranen ist unbestritten. Auch deshalb liegt der Mann, den er als Nachfolger der provisorisch amtierenden Donna Brazile für den Parteivorsitz empfiehlt, aussichtsreich im Rennen. Keith Ellison, ein Abgeordneter aus Minnesota, 2006 als erster Muslim ins Repräsentantenhaus gewählt, steht für den Linksruck, wie ihn Sanders oder auch dessen Senatskollegin Elizabeth Warren, eine kompromisslose Kritikerin der Wall-Street-Banken, fordern.
Favorit dessen, was man den Hillary-Clinton-Flügel nennen könnte, ist wiederum Tom Perez, der letzte Arbeitsminister des Kabinetts Obama, Sohn von Einwanderern aus der Karibik. Und für den Fall, dass weder Ellison noch Perez bei der Abstimmung an diesem Samstag die Mehrheit gewinnen, könnte Buttigieg als klassischer Kompromisskandidat zum Zuge kommen.
Wer immer das Rennen macht, muss mit darüber entscheiden, wie sich die Demokraten in der Auseinandersetzung mit Trump zu definieren gedenken. Ob sie dem Präsidenten mit einer Total-opposition begegnen, wie die Republikaner sie praktizierten, indem sie Obama auszubremsen versuchten, ohne auch nur ansatzweise Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Oder ob sie von Fall zu Fall mit dem Weißen Haus kooperieren.
Die Heftigkeit der Proteste gegen Trump hat jene bestärkt, die zu resolutem Widerstand raten. Angefangen hat es mit dem Women's March, dem Frauenmarsch im Januar, dessen Teilnehmerzahl die kühnsten Erwartungen der Organisatorinnen übertraf. Aktuell lassen die turbulenten Bürgerforen republikanischer Abgeordneter ahnen, auf wie viel spontanen Widerstand sich die Konservativen in ihren Wahlkreisen gefasst machen müssen. Es sind Szenen, die an den Sommer 2009 erinnern, als die Tea-Party-Bewegung den Zorn rechter Rebellen bündelte. Nur dass es diesmal linke Rebellen sind, die ihrem Ärger Luft machen.

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