Auf der Suche nach den eigenen Wurzeln

TRIER. Die Diskussion über anonyme Geburt ist in Deutschland wieder entfacht. Befürworter hoffen nach einem Urteil des europäischen Menschengerichtshof auf eine Legalisierung der bereits angebotenen Möglichkeit, anonym zu entbinden.

An einem Seiteneingang des Trierer Kinderheimes Ruländer Hof befindet sich der allerletzte Ausweg für Mütter in einer Notlage. Eine Notlage, die die Mehrheit der Mütter, die gerade ein Kind entbunden haben, nicht nachvollziehen können. Diese Frauen in Not können sich nicht auf ihr Baby freuen. Es ist nicht gewollt. Hinter der breiten Öffnung steht ein Babybettchen. Ein Merkblatt liegt im Fenster. Darauf wird der abgebenden Mutter empfohlen, wichtige Informationen zu hinterlassen: Vorname oder Geburtsdatum. Sobald das Baby im Fenster liegt, ertönt im Kinderheim bei einer Mitarbeiterin ein schriller Alarm. Das Kind wird dann sofort in die benachbarte Neugeborenen-Station des Mutterhauses gebracht, und das Kinderheim informiert das städtische Jugendamt. "Wir wollen eigentlich nicht, dass das Fenster häufig benutzt wird", beschreibt Monika Petry vom Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) in Trier den Sinn des Baby-Fensters. Mit dem in der Region einzigen Angebot will der SKF vor allem darauf aufmerksam machen, dass es Hilfs-Möglichkeiten für Frauen in Not gibt. Denn gleichzeitig ist ein Notruf (0651/9496-222) rund um die Uhr zu erreichen. Dort werden Frauen in Not beraten, es werden ihnen Hilfsangebote genannt und auch die Möglichkeit, ihr Baby nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Es soll alles getan werden, damit das Kind gesund und unter ärztlicher Aufsicht zur Welt kommt und nach Möglichkeit nicht anonym. Doch falls eine Frau - oft handelt es sich um Minderjährige, die ohne Wissen der Eltern und des Freundes entbinden, Frauen, die illegal in Deutschland leben, oder unter extremen Druck stehen wie etwa Prostituierte - entbinden will, ohne dass sie ihre Identität preisgibt, dann sei das besser, als dass sie in ihrer Ausnahmesituation das Kind tötet, so Petry. Obwohl es in Deutschland rechtlich nicht zulässig ist, werden in einigen Krankenhäusern ganz offiziell anonyme Geburten angeboten. Auch die zunehmende Zahl von Baby-Klappen ermöglicht eine Geburt, ohne dass die Personalien der Eltern bekannt werden müssen. Die Idee, ein solches Fenster in Trier einzurichten, entstand im März 2000. Im Trierer Mutterhaus wurde ein Baby abgegeben, Mutter unbekannt. Das Findelkind, das schnell neue (Adoptions-)Eltern fand, war Anlass für das Baby-Fenster in Trier. Es ist das einzige in der Region geblieben. Doch was ist, wenn beispielsweise das Findelkind aus dem Mutterhaus irgendwann einmal seine Mutter kennenlernen will? Mittlerweile plädieren auch viele Befürworter anonymer Geburten dafür, dass die Mutter zwar bei der Geburt inkognito bleiben darf, das Kind aber später als Jugendlicher trotzdem die Möglichkeit haben sollte, seine Herkunft zu erfahren. Vorbild könnte das französische Modell sein: Seit vergangenem Jahr können Kinder, die die Identität ihrer leiblichen Mutter nicht kennen, über eine staatliche Stelle versuchen, Kontakt mit ihrer Herkunftsfamilie aufnehmen - falls diese das will. Eine vehemente Gegnerin der anonymen Geburt ist die Erziehungswissenschaftlerin und Adoptionsexpertin Christine Swientek von der Uni Hannover: "Ich halte es für ein Märchen, dass all diese Frauen, die seit Jahrzehnten ohne Babyklappen leben mussten, ihre Kinder getötet oder ausgesetzt haben." Für sie ist das eine unüberlegte "Hilfe-um-jeden-Preis-Mentalität". Es gebe genügend Hilfsmöglichkeiten und Beratung für Mütter in Not, so Swientek. Die Professorin begleitet seit 20 Jahren nicht nur Adoptiveltern und -kinder, sondern auch Mütter, die ihre Kinder abgegeben haben und nun nach ihnen suchen. Viele dieser Mütter erinnerten sich jedes Jahr an den Geburtstag ihres Kindes und seien verzweifelt. Doch nicht nur die Mütter leiden. Auch die Kinder. "Eine gesetzlich legitimierte anonyme Geburt nimmt dem Kind sein durch das Bundesverfassungsgericht zuerkanntes Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung", argumentiert die Bundesarbeitsgemeinschaft Adoptierte. Kinder, denen das Wissen über die eigene Abstammung vorenthalten werde, seien ihr Leben lang auf der Suche nach ihren Wurzeln.

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