"Auf die Unicef-Studie müssen alle reagieren"

MAINZ. Einen beitragsfreien Kindergarten bis 2010, mehr Krippenplätze und mehr Bildung im Vorschulbereich hat sich Rheinland-Pfalz auf die Fahnen geschrieben. Doch die Unicef-Studie zur Lage der Kinder bescheinigt Deutschland und Rheinland-Pfalz nur Mittelmaß. Mit dem Programm "Zukunftschance Kinder" ist das Land dennoch auf einem guten Weg, ist sich Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) im TV-Interview sicher.

Frau Ministerin, regen Sie Studien wie der Unicef-Bericht zur Lage der Kinder oder der Pisa-Bildungsvergleich eher auf oder an?Ahnen: Sie sind Auftrag, bei aufgetauchten Defiziten zu reagieren. So habe ich auch die Unicef-Studie verstanden. Schaut man sich die Empfehlungen an, die für Deutschland gegeben werden, glaube ich, dass Rheinland-Pfalz auf gutem Weg ist. Bei Ausbau von Kindergarten und Kinderkrippen sind wir bundesweit Vorreiter.Aber die Studie bescheinigt Deutschland und Rheinland-Pfalz doch nur Mittelmaß bei den Zukunftschancen der Kinder. Bei der Bildung erhält das Land sogar schlechte Noten.Ahnen: Die Studie bestärkt den von uns eingeschlagenen Weg des Ausbaus von Ganztagsschulen und besserer Bildung und Betreuung im vorschulischen Bereich. Aber solche Entwicklungen brauchen Zeit, bis sie in der Fläche wirken. Wir werden uns weiter anstrengen und als erstes Bundesland bis 2010 den Kindergarten komplett beitragsfrei machen, auch für Zweijährige.Rheinland-Pfalz will kinderfreundlichstes Bundesland werden und erhält eine nicht gerade berauschende Bewertung. Ist das denn kein Rückschlag?Ahnen: Insgesamt sieht Rheinland-Pfalz in der Studie nicht so schlecht aus. Alle Bundesländer müssen reagieren. Ich empfinde es nicht als Rückschlag, weil ein Umsteuern im System eben Zeit braucht. Kaum ein Bundesland hat damit so frühzeitig begonnen wie wir.Bundesfamilienministerin von der Leyen will die Krippenplätze mit Milliardenaufwand verdreifachen. Wie realistisch ist der Vorschlag?Ahnen: Mit ihren Zielen rennt Frau von der Leyen bei uns offene Türen ein. Wir haben bereits einen Versorgungsgrad von über zehn Prozent im Bereich der unter Dreijährigen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, die Bundesministerin hätte auch gesagt, was der Bund finanziell beisteuern will.Wie hoch ist die Zielmarke im Land für die Versorgung mit Krippen-Plätzen?Ahnen: Unser Finanztableau trifft Vorsorge, dass 2010 rund die Hälfte der Zweijährigen einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz nutzen kann. Für die unter Zweijährigen liegt der angepeilte Versorgungsgrad bei Krippenplätzen bei 20 Prozent.Nach dem schlechten Abschneiden in Schulstudien ließ die Diskussion über das gegliederte Schulsystem nicht lange auf sich warten. Die Forderungen nach neuen Strukturen nehmen zu.Ahnen: Wir haben ja mit Ganztagsschulen und Regionalen Schulen Weiterentwicklungen eingeleitet. Aber ich warne davor zu glauben, dass man strukturelle Änderungen gegen die Betroffenen machen kann. Das kann man nur mit Akzeptanz vor Ort. Und zum Zweiten sage ich ganz deutlich: Wichtiger als Strukturfragen ist die individuelle Förderung. Das ist Auftrag aller Schularten.Aber es bleibt der Problemfall Hauptschule. Die Debatte wird immer häufiger ideologisch geführt, wie die jüngste Landtagsdebatte zeigte.Ahnen: Die Debatte hat belegt, wie schwierig es ist, in der Sache zu diskutieren. Man kann das nicht am grünen Tisch entscheiden und darf die Hauptschule nicht diskreditieren. Die Situation in diesen Schulen ist äußerst unterschiedlich. Im Vordergrund müssen inhaltliche Weiterentwicklungen stehen wie verstärkte Berufsorientierung, Unterstützung durch flächendeckende Schulsozialarbeit und mehr Kooperation mit Betrieben beim Übergang in den Beruf.Also bleibt es beim dreigliedrigen Schulsystem?Ahnen: Wir haben das klassische System ja bereits ergänzt um Gesamtschulen, Regionale Schulen oder Duale Oberschulen. Aber diese Weiterentwicklungen gibt es nur dort, wo es akzeptiert und gewollt ist.Welche Perspektiven gibt es denn für die ganzen Schularten angesichts rückläufiger Schülerzahlen?Ahnen: Die Schulstruktur "demografiefest" zu machen, ist eine große Herausforderung. Es gibt eine Reihe Landkreise und Städte, die sich bereits dieser Aufgabe stellen. Da wird zwischen Schulträgern und Land gut zusammengearbeitet.Nun kommen die Realschullehrer und wollen um eine Klasse aufstocken, um die Fachhochschulreife anbieten zu können. Hat das Chancen?Ahnen: Das Modell ist eine Reaktion auf das zwölfjährige Abitur. Ich sage für Rheinland-Pfalz ganz deutlich, wir haben uns dafür entschieden, ein Angebot für ein Abitur nach zwölf Jahren im Rahmen von Ganztagsschulen zu schaffen. Ansonsten bleibt es bei 12,5 Jahren. Das ist vernünftig, weil Schüler unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Daher halte ich ein neues Modell an den Realschulen nicht für notwendig.Es gibt also langfristig mit dem kurzen und längeren Weg zwei Gleise zum Abitur?Ahnen: Es wird diese parallelen Angebote geben, ja.An den Hochschulen ist der prognostizierte Studentenberg bislang ausgeblieben. Ist der Nachwuchs studierunwillig?Ahnen: Wir brauchen mehr akademisch ausgebildete Menschen. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern mit teilweise deutlichen Rückgängen hat Rheinland-Pfalz noch einen leichten Zuwachs von 0,4 Prozent. Das hat sicher auch etwas mit der Einführung von Studiengebühren in anderen Ländern zu tun.Das heißt, dass der befürchtete Studentenansturm in Rheinland-Pfalz so nicht kommt?Ahnen: Es kommen geburtenstarke Jahrgänge, entsprechend wird es auch einen Zuwachs geben. Daher gibt es den Hochschulpakt. In diesem Rahmen wollen wir 5800 zusätzliche Studienplätze zur Verfügung stellen.Bei den Hochschulausgaben liegt Rheinland-Pfalz meist am unteren Ende der Ländertabelle. Wird da nicht an der falschen Stelle gespart?Ahnen: Das hat auch etwas mit der Struktur der Ausgaben zu tun. Wir haben im Land nur eine Uniklinik, also auch im Vergleich einen geringeren Anteil an Ausgaben im medizinischen Bereich. Aber man muss auch mehr in den Hochschulbereich investieren. Wir erhöhen im Programm "Wissen schafft Zukunft" die Mittel nochmals um 50 Prozent im nächsten Jahr. Wir setzen Schwerpunkte. Das wird uns noch eine ganze Weile fordern.Die Landeskinderregelung bei den Studiengebühren ist nach dem Weggang ihres Vorgängers Jürgen Zöllner auf Eis gelegt worden. Bleibt sie leere Drohung?Ahnen: Die Regelung war immer nur ein Notwehr-Instrument, wenn tatsächlich rundherum Studiengebühren eingeführt werden und sich das Interesse der Studenten so auf Rheinland-Pfalz verlagert, dass wir es nicht mehr bewältigen könnten. Im Hochschulpakt haben sich alle Länder verpflichtet, nachweisbar mehr Studienanfänger aufzunehmen. Ich bin mal gespannt, wie Länder mit Studiengebühren ihre Verpflichtungen erbringen. g Das Gespräch führte unser Redakteur Joachim Winkler

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