Augen zu und durch

Fort Bragg. US-Präsident George W. Bush hat angesichts sinkender Umfragewerte und wachsender Kritik um Unterstützung für seine Irakpolitik geworben und zu mehr Geduld aufgerufen. Ein Jahr nach der formellen Machtübergabe im Irak bereitete Bush seine Landsleute in einer Grundsatzrede außerdem auf weitere Opfer vor.

Gerade einmal fünf Minuten sind in der Grundsatzrede von US-Präsident George W. Bush zur Lage im Irak vergangen, da taucht überraschend ein prominenter "Kronzeuge" im Redetext auf: der deutsche Bundeskanzler. "Auch Gerhard Schröder hat mir gerade erst versichert, dass ein stabiler Irak im Interesse nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas ist," sagt Bush. Bundeskanzler wird zum Helfershelfer

So wird der zu diesem Zeitpunkt längst wieder in Berlin eingetroffene Eintages-Gast am Dienstagabend zum Helfershelfer für einen verbalen Befreiungsschlag des US-Regierungschefs, bei dem dieser mit Pathos und Durchhalte-Parolen gegen ein schmerzhaftes Stimmungstief vorgeht. Denn nachdem in der vergangenen Woche eine Umfrage des Gallup-Institutes ergeben hatte, dass nur noch einer von drei Amerikanern an einen Erfolg im Irak glaubt, setzte Bush kurzfristig eine Ansprache an die Nation auf den Kalender - zur besten Sendezeit, zeitlich passend zum Einjahres-Jubiläum der irakischen Übergangsregierung und fernsehgerecht inszeniert vor den Fallschirmjägern des Militärstützpunktes Fort Bragg im Bundesstaat North Carolina, die in den Kriegen in Afghanistan und im Irak bereits 44 Kameraden verloren haben. Die Devise des Präsident lässt sich dabei nach dem gut 30-minütigen, nur ein einziges Mal von höflichem Applaus unterbrochenem Vortrag, auf den Nenner bringen: Augen zu und durch. Die Kernsätze dabei: Ein Zeitplan für einen Truppenabzug wäre ein "schwerer Fehler". Man werde bleiben, solange man gebraucht werde. Und man werde nicht zulassen, dass auch die Zukunft Amerikas von Autobombern und Mördern bestimmt werde. Auffällig war, dass George W. Bush allein sechs Mal in seiner Rede die Terroranschläge des 11. September 2001 erwähnte - obwohl bis heute kein faktischer Zusammenhang zwischen Saddam Hussein und den Attacken hergestellt werden konnte. Doch Bushs Rückkehr zum 9/11-Thema soll offenbar vor allem einem Zweck dienen: Die Nation an die in den Wochen und Monaten nach dem Anschlägen herrschende Entschlossenheit erinnern. Jetzt abzuziehen, wäre ein falsches Signal an den "Feind", so Bush. Dieser könne nur gewinnen, wenn das amerikanische Volk die Lektionen aus den Terroranschlägen vergesse und das irakische Volk im Stich lasse. Ein Erfolg im Irak sei jedoch "lebenswichtig für unsere Sicherheit". Was er als Feind versteht, machte Bush am Dienstagabend schnell klar: Der Irak sei jetzt eine wichtige Front im Kampf gegen den Terror, da dort Kämpfer aus Saudi-Arabien, Syrien, Iran, Ägypten, Sudan, Jemen, Libyen und anderen Nationen gefasst worden seien. Der Präsident wiederholt allerdings nicht die mittlerweile von führenden Militärs kritisierte Einschätzung seines Vize-Präsidenten Dick Cheney, dass die Aufständischen im Irak "in den letzten Zügen liegen". Demokraten: Bush hat kein klares Konzept

Auch auf den Umstand, dass der Irak erst durch die Militäraktion der US-Regierung und der "Koalition der Willigen" zum Honigtopf für islamische Extremisten wurde, geht der Präsident in seiner Ansprache ebensowenig ein wie die erfolglose Suche nach Massen-Vernichtungswaffen - eine Tatsache, die gestern von so manchen Kommentatoren in den US-Medien süffisant vermerkt wird. "Das ist offenbar die vorerst letzte neue Begründung dafür, dass unsere Truppen im Irak sind", kritisierte beispielsweise der frühere Berater von Ex-Präsident Bill Clinton, Paul Begala. Spitzenpolitiker der US-Demokraten nutzten die Gelegenheit, Bush erneut vorzuwerfen, er habe kein klares Konzept für einen Erfolg im Irak. Nany Pelosi, Oppositionssprecherin im Abgeordnetenhaus, warf dem Präsidenten zudem mangelnde Offenheit vor: "Hier ist wieder eine Gelegenheit verpasst worden, den Amerikanern klare Worte zu sagen."

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