Aus drei mach fünf

BERLIN. Union und SPD rücken in die Mitte. Programmatisch und in der praktischen Regierungspolitik. Dadurch geben sie die Ränder frei. Die große Koalition verfestigt damit einen Zustand, der die Republik nachhaltig prägen wird: Deutschland bekommt dauerhaft ein Fünf-Parteiensystem.

Das Zwangsbündnis von Union und SPD ist nicht Auslöser dieser Vermehrung von früher drei auf künftig fünf Parteien. Gesellschaftliche Prozesse wie der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft oder das Abnehmen ideologischer Bindungen spielen eine große Rolle. Aber die große Koalition verstärkt diese Tendenzen enorm. Am augenfälligsten wird das bei der PDS. Als Regionalpartei Ost musste sie immer um den Einzug in den Bundestag zittern. Nun ergibt sich die Chance, durch die Verschmelzung mit der westdeutschen WASG zu einer langfristig wirkenden Kraft zu werden. Die Bildung einer neuen bundesweiten Linkspartei kommt gerade in ihre entscheidende Phase. Derzeit liegt die Linkspartei in den Umfragen zwischen acht und zwölf Prozent. Solche Zahlen hätte es ohne große Koalition nicht gegeben; die WASG wäre eine Eintagsfliege geblieben. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi nutzen die Gunst der Stunde konsequent. Sie grenzen die neue Linkspartei betont radikal von der SPD ab, um das Reservoir voll auszuschöpfen. Die FDP konnte in diesem Sommer Umfragewerte von 15 Prozent bejubeln. Sie profitiert davon, dass die Union an ihrem wirtschaftsliberalen Rand in der großen Koalition Raum preisgibt. Derzeit versucht Parteichef Guido Westerwelle die FDP mit neuen Themen zu profilieren. Zudem signalisiert er, dass er auch für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen offen wäre. Damit öffnet er die Partei für Liberale aus allen Lagern. Am schwierigsten ist noch die Situation der Grünen. Sie regieren anders als FDP und PDS in keinem Bundesland mit. Aber sie arbeiten ebenfalls sowohl an ihrem inhaltlichen Profil als auch an ihren Koalitionsoptionen. Schwarz-Grün ist längst keine Schnapsidee mehr. Im Grunde wartet man nur auf die Chance, es in irgendeinem Land erproben zu können. Auch das verbreitert die Wählerbasis. Derzeit werden die Grünen in Umfragen auf zehn Prozent taxiert. Bisher beruht die Parteienvermehrung allein auf neuen Konkurrenten der SPD im linken Spektrum. Doch auch der Union könnten Abspaltungen drohen. CSU-Chef Edmund Stoiber hat bereits vor einem Ende der Volksparteien in Deutschland gewarnt. Er wehrt sich gegen eine zu weit gehende Modernisierung des CDU-Grundsatzprogramms. Mit dem Festhalten an traditionellen Leitbildern will er den Raum rechts von der Union besetzt halten. 35 Prozent CDU, 30 SPD und jeweils gut zehn Prozent für die drei kleinen Parteien, so könnte die Parteienlandschaft nach der nächsten Bundestagswahl aussehen, wenn die große Koalition weiter macht wie bisher. Das hat schwer wiegende Konsequenzen. Zweierkoalition wird es nicht mehr geben, es sei denn wieder eine große Koalition, die die Entwicklung dann noch einmal verstärkt. Schwarze Ampel, rote Ampel, später auch Rot-Rot-Grün, das sind die Varianten. Mit anderen Worten: Jeder kann mit fast jedem. Der Wähler wird nicht mehr einschätzen können, welche Regierung er bekommt. Franz Münteferings Satz, es sei unfair, seine Partei an ihren Wahlaussagen zu messen, weil sich doch eine ganz andere Koalition ergeben habe, wird den Bürgern womöglich noch oft in den Ohren klingen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort