Beck und die Berliner Wölfe

Frenetischer Applaus, Lobreden und fast 100 Prozent Zustimmung: Die Landes-SPD bot ihrem seit Wochen gebeutelten Vormann den erwarteten Empfang in der Heimat. Kurt Beck fand's einfach nur schön, genoss den Jubel und haderte mit dem Umgangsstil des "Berliner Wolfsrudels".

Mainz. Unter begeistertem rhythmischen Klatschen, mit viel Händeschütteln und zahlreichen freundschaftlichen Umarmungen bahnt sich Kurt Beck den Weg durch die riesige Mainzer Phoenixhalle zum Podium. Wo früher einmal lädierte Panzer ausgebessert wurden, sind am Samstag neben gut 400 Delegierten noch einmal schätzungsweise 600 Genossen aus dem ganzen Land zusammengekommen, um Kurt Beck wenige Tage nach seinem abrupten Abgang von der Bundesparteispitze uneingeschränkte Sympathie und Unterstützung zu signalisieren. "Reparaturarbeiten" scheinen auch am angeschlagenen und in den vergangenen Monaten dünnhäutig gewordenen Vormann notwendig zu werden.

"Wir wissen, was wir an Dir haben", zeigt per Transparent das Parteivolk Solidarität und begrüßt seinen Vorsitzenden mit Schildern wie "Hallo Kurt. Schön dass Du hier bist" wieder zu Hause. Der herzliche Empfang ist Balsam auf die noch frischen Wunden des gescheiterten SPD-Chefs. Die vergangenen Tage hätten bewiesen, dass Freundlichkeit und Freundschaft in der Politik noch einen Stellenwert hätten, sagt ein sichtlich bewegter und zufriedener Beck über die zahlreich eingegangenen Solidaritätsadressen. Doch ein Blick zurück im Zorn auf die Attacken, die letztlich zu seinem Rücktritt führten und bei denen die Gegner in den eigenen Reihen offenbar immer wieder das Alpha-Tier der Partei angriffen, muss sein: "Ich will und werde mir nicht einreden lassen, dass es ein Vorteil in der Politik sei, wenn man den Umgangsstil eines Wolfsrudels miteinander pflegt." Seinen Rücktritt hatte Beck mit einem Vertrauensbruch bei der bereits intern verabredeten Nominierung von Außenminister Frank Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten begründet. Dadurch hatte sich Beck gezielt in die Rolle des Getriebenen gedrängt gefühlt, statt als handelnder Chef zu erscheinen, der Führungsanspruch zeigt.

Auch das politische Spiel über die Medien nagt weiter an dem zurückgetretenen SPD-Chef. Er warnt die Partei, sich dazu herzugeben, in der Arena Kämpfe auszutragen, wobei andere dann am Ende mit dem Daumen hoch oder runter zeigten und so über Sieg und Niederlage entschieden. Keine der Redner verliert kritische Töne über mögliche politische Fehler Becks. Von Bestürzung, Enttäuschung, ja "Wut im Bauch" berichtet der Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel über seine Gefühlslage in der Rückschau auf die Turbulenzen um den aus seiner Sicht völlig zu Unrecht herbeigeführten Rücktritt Becks. Er spricht den Delegierten aus der Seele, die es vielfach nicht nur bei Solidarität und Sympathiebekundungen belassen, sondern tiefe Verbundenheit mit ihrem Vorsitzenden demonstrieren. Sie sind stolz auf ihren "Kurt", der sich auch in Berlin nicht hat verbiegen lassen und der sich seine "Integrität bewahrt" hat.

Bei Solidaritätsappellen von SPD-Bundespolitikern schüttelt es DGB-Landeschef Dietmar Muscheid nach seinen eigenen Worten teilweise heftig, weil er dann an Brandstifter denkt, die anschließend am lautesten nach der Feuerwehr rufen. Beck nimmt die Rückenstärkung mit sichtlicher Genugtuung auf. Sein Appell zur Geschlossenheit bei den nächsten Wahlen ist eher rhetorisch, denn die Partei steht hinter ihm. Weder ein im wahrsten Sinn des Wortes kleines Feuer unter dem Dach durch einen Kurzschluss, noch die Pleite mit nicht einwandfrei funktionierenden elektronischen Abstimmgeräten können sein Heimspiel wirklich stören.

extra

SPD-Landesvorstand : Keine personellen Änderungen gab es bei der Wahl der engeren Führungsriege der Landes-SPD (Zustimmung in Prozent): Vorsitzender: Kurt Beck (99,5). Stellvertreter: Ministerin Doris Ahnen (86,4), Minister Hendrik Hering (91,5), Landrätin Theresia Riedmaier (88,2). Generalsekretärin: Heike Raab (71,0). Schatzmeister: Günther Ramsauer (91,0). Erstmals den Sprung in den insgesamt 23-köpfigen Landesvorstand schaffte die Dauner Landtagsabgeordnete Astrid Schmitt. Europawahl 2009: Nominierte Kandidaten des Landesverbands für die Bundesliste zur Europawahl: 1. Jutta Steinruck (Ludwigshafen), 2. Norbert Neuser (Boppard), 3. Miguel Vicente (Mainz). Der bisherige Europaabgeordnete Ralf Walter (Cochem) tritt nicht mehr an. (win)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort