Beckstein und Huber haben verstanden

Die CSU findet auf ihrem Parteitag zu ihrer alten Geschlossenheit zurück - Bangen um die absolute Mehrheit.

 Werner Kolhoff.

Werner Kolhoff.

Foto: Iris Maurer

Berlin. Für das Wahlprogramm, eigentlicher Anlass des Parteitages, brauchten die 1000 Delegierten gerade mal zwei Minuten. Eine einzige Wortmeldung wegen eines lokalen Problems gab es, dann war das 30-Seiten-Werk, das bei der CSU natürlich "Regierungsprogramm" heißt, am Samstag in Nürnberg mit übergroßer Mehrheit verabschiedet. Die Partei hat nach den Querelen um den Abgang Edmund Stoibers im vergangenen Herbst zu ihrer alten Geschlossenheit zurückgefunden. Das ist mit Blick auf die Landtagswahlen am 28. September auch nötig. Denn erstmals seit Jahrzehnten scheint das mit dem Regieren nicht mehr so selbstverständlich zu sein. Derzeit liegt die CSU laut Emnid-Umfrage bei 51 Prozent. Die SPD bekäme 19 Prozent, die Grünen neun, die FDP sieben und die Linke zöge mit fünf Prozent erstmals in das Maximilianeum ein. Das wären für die CSU zwar die "50 plus X", die auf dem Parteitag allenthalben beschworen wurden. Aber es wären weniger als 2003 (60,7 Prozent) und es ist so knapp, dass man eventuell einen Koalitionspartner bräuchte. Huber warnte denn auch eindringlich vor der Möglichkeit einer Vierer-Koalition, wie sie die SPD unter Einschluss der Freien Wähler mit FDP und Grünen bilden möchte. "Dann wird Bayern abstürzen". Es gebe, erkannte der Parteichef, im Wahlvolk eine "Denkzettel-Mentalität". Die Gründe dafür - das Scheitern des Transrapid, die hohen Verluste der Landesbank oder auch die Schulpolitik - nannte er nicht, warnte die Wähler aber davor, sich daran zu orientieren. Auch Ministerpräsident Günther Beckstein wollte von einer CSU ohne absolute Mehrheit nichts wissen: "Einen anständigen Bayern schüttelt es bei dem Gedanken an Koalitionen."

Beckstein und Huber präsentierten sich als funktionierendes Tandem. Auch in vielen persönlichen Gesten bekundeten sie in Nürnberg immer wieder ihr gegenseitiges Vertrauen. Der Erfolg komme nicht automatisch, die CSU müsse offen sein für Neues und stets um ihre Mehrheit kämpfen, mahnte Huber.

Beckstein übernahm es in seiner Rede, die künftigen landespolitischen Schwerpunkte der Partei zu erklären. Huber betonte ihre wertkonservative, christliche Basis. Klarer Schwerpunkt des Programms ist die Bildungspolitik. Beckstein konnte damit glänzen, dass die Regierung die frei gewordenen Mittel des Transrapid-Projekts in die Forschung und in neue Lehrerstellen gesteckt hat. Erklärtes Ziel sei es, Bayern unter die fünf leistungsfähigsten Forschungsregionen der Welt zu bringen. Die zuvor von der CSU in den Mittelpunkt gerückte Forderung nach einer Rückkehr zu alten Pendlerpauschale spielte nach der Rede Angela Merkels vom Freitag nur noch eine Nebenrolle. Merkels Satz, Bayern sei da, "wo der Bund hin will", wurde hingegen gerne zitiert. Offenbar hat die CSU-Führung die Phase der Profilierung gegen die CDU beendet und setzt jetzt wieder auf ihre eigene Kraft.

Meinung

Die neue Bescheidenheit

Von Werner Kolhoff

Die CSU ist bescheidener geworden. Ihr Parteitag von Nürnberg dokumentiert das Ende einer Überheblichkeit, die mit Edmund Stoibers Kanzlerkandidatur 2002 und seinem Landtagswahlergebnis von sagenhaften 60,7 Prozent ihren Höhepunkt gefunden hatte. Das Scheitern des Transrapid, die Krise der Landesbank und die Auseinandersetzungen um das achtjährige Gymnasium waren die Spätfolgen dieser Politik. Stoibers Nachfolger, Erwin Huber als Parteichef und Günther Beckstein als Ministerpräsident, haben den Anspruch, in die alten Höhen zurückzukehren, spätestens in Nürnberg begraben. Die Kampagne um die Pendlerpauschale war zwar ein Versuch, gegenüber der CDU wieder jene trotzige Unabhängigkeit zu gewinnen, die einst Franz-Josef Strauss auszeichnete. Doch Beckstein wie Huber sind dafür mindestens eine Nummer zu klein. Angela Merkel hat sie mit ihrem Auftritt in Nürnberg spüren lassen, wer Bundesliga ist und wer Regionalliga. In der CSU-Zentrale wie in der Staatskanzlei werden jetzt wieder deutlich kleinere Brötchen gebacken. Die Milieus verändern sich, auch im Freistaat. Viele Ostdeutsche sind zugezogen. Aber auch die Bayern sind anders geworden. Die Frauen verlangen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Familien bessere Bildungschancen für ihre Kinder. Und eine Schicht, die das Gefühl hat, am Fortschritt nicht teilzuhaben, gibt es auch. Die Linkspartei könnte in den nächsten Landtag ziehen, ebenso die Freien Wähler, und die CSU, derzeit in den Umfragen bei 51 Prozent, ihre absolute Mehrheit verlieren. Aber die Christsozialen sind, und das macht ihre Stärke aus, ein lernfähiges System. Unter Beckstein und Huber haben sie schnell umgesteuert von den großspurigen Tönen einstiger Zeiten auf kleinteilige, konzentrierte Sacharbeit. Vor allem im Bildungssystem, in der Forschung und bei der Infrastruktur werden deutliche Anstrengungen unternommen oder versprochen. Zugleich haben Huber und Beckstein ihre Zusammenarbeit verbessert. Allerdings, mancher Wähler könnte am 28. September denken: Wenn schon der drohende Verlust der absoluten Mehrheit die Partei so viel sensibler gemacht hat - um wie viel mehr gilt das, wenn sie tatsächlich einen Koalitionspartner bräuchte? Nach 46 Jahren christsozialer Alleinregierung wäre das für Bayern sicher keine Katastrophe. nachrichten.red@volksfreund.de

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