Bei den weichen Faktoren ganz schwach

BERLIN. Wie viel Lebensqualität hat Deutschland? Zu dieser Frage hat das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung eine europaweite Vergleichsstudie erarbeitet. Die Ergebnisse fallen aus deutscher Sicht nicht eben schmeichelhaft aus.

Untersuchungen zur sozialen Situation in Deutschland hat es in jüngster Zeit viele gegeben, alle mit ähnlichen Ergebnissen: Die soziale Kluft nimmt zu, die Gesellschaft überaltert, das Land hat große Bildungs-, Integrations- und Arbeitsmarktprobleme. Nun haben Wissenschaftler des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung einen europaweiten Vergleich der Entwicklung seit 1995 gezogen. Ihre Bilanz: "Die letzten zehn Jahre waren für die Lebensqualität in Deutschland ein verlorenes Jahrzehnt." Forschungsleiter Bernhard Ebbinghaus nannte die Hauptprobleme: Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in Deutschland höher als anderswo. Seit 1995 ist der Anteil jener, die länger als zwölf Monate ohne Job sind, von 49 Prozent auf 53 Prozent aller Erwerbslosen gestiegen. Nur in Tschechien und in Polen sieht es noch schlechter aus.Großes Problem: Kinder als Armutsrisiko

Das europaweite Ziel einer Erwerbsquote von 70 Prozent wird in Deutschland nur bei den Männern erreicht. Frauen im Westen schaffen nur knapp über 50 Prozent, in den neuen Ländern knapp 60 Prozent. Ältere Menschen sollen laut EU-Vorgabe zu 50 Prozent beschäftigt sein. In Deutschland wird diese Quote nur bei den Männern erreicht. Ein weiteres zentrales Problem: Kinder als Armutsrisiko. Das Einkommen von Familien mit mehr als zwei Kindern liegt mit 83 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt, das von allein Erziehenden beträgt sogar nur 66 Prozent des Durchschnitts. Während in den neuen Ländern die hohe Arbeitslosigkeit zur Erwerbslosigkeit von Müttern führt, ist es im Westen die - wie es Ebbinghaus bezeichnet - "strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber der Vereinbarkeit von Familie und Beruf". Schließlich weist Deutschland auch im Gesundheitswesen einen deutlichen Abstand zu führenden europäischen Ländern auf. Die Lebenserwartung ist in Schweden, Italien, Frankreich oder Großbritannien höher. Schweden als Positiv-Beispiel

Die Bevölkerung wird auch nicht gesünder. 1995 wie 2005 konnten Frauen mit 64 beschwerdefreien Lebensjahren rechnen. Da die Bevölkerung aber altert, bedeutet dies, dass die Zahl der Jahre mit Krankheiten sich erhöht. Bei Männern immerhin stieg die Aussicht auf gesunde Zeiten von 60 auf 63 Jahre. Als Positivbeispiel führte Ebbinghaus Schweden an. Das Land habe frühzeitig seinen Arbeitsmarkt reformiert, tue sehr viel für die Integration von Frauen und Älteren in den Arbeitsmarkt, habe das Prinzip des lebenslangen Lernens erkannt und investiere in Bildung, Betreuung und soziale Dienste. Die weichen Faktoren, so scheint es, führen langfristig zum Erfolg. In Auftrag gegeben hatte die Studie der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller. Dessen Geschäftsführerin, Cornelia Yzer, warnte davor, dass manche Einsparungen im Gesundheitssystem "nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die zukünftige Lebensqualität haben". Ebbinghaus wollte das direkt nicht unterstützen. Welche Schlussfolgerungen man aus der Studie ziehe, sei Sache der Politik.

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