Bemerkenswerter Zufalls-Jurist

Nach 30 Jahren als Strafrichter im Bereich des Trierer Landgerichts geht Rolf Gabelmann in den Ruhestand. In Erinnerung bleibt er vor allem als sensibler Vorsitzender der Großen Jugendkammer.

Trier. (DiL) Gleich neben der Bürotür warten die mächtigen Kartons voller Akten auf ihren letzten Weg zur Shredder-Maschine. Rolf Gabelmann nimmt nicht viel Papier mit in den Ruhestand. Eine einzige Urteilsbegründung hat er als Andenken an einen Mammut-Prozess aufgehoben. Die Robe ist längst weg, die dicken Gesetzesbücher auch. Da hat einer gründlich seinen Schluss-Strich gezogen. Es mag in der Justiz den einen oder anderen lustigen, oder sagen wir: unterhaltsamen Job geben. Der, den Gabelmann in den letzten Jahren ausgeübt hat, gehört sicher nicht dazu. Die Große Jugendkammer beim Landgericht, da sammeln sich Missbrauchs- und Misshandlungsfälle, Gewalt-Exzesse, junge Serientäter. Wenn die Opfer minderjährig sind oder die Täter noch im Bereich des Jugendstrafrechts, dann muss die Jugendkammer ran. Auch wenn die Rechtsfindung gelingt: Solche Verfahren hinterlassen selten ein Gefühl unbeschwerter Zufriedenheit. "Kaputte Angeklagte, kaputte Zeugen, verkorkste Karrieren", so schildert Gabelmann, was ihm oft vor dem Richterstuhl begegnete. Aber es klingt weder zynisch noch resigniert, allenfalls ein wenig müde. Drei Jahrzehnte hat er sich mit der Kriminalität in der Region Trier auseinandergesetzt, der "Zufalls-Jurist" (Gabelmann), der eigentlich Architekt werden wollte, dann zunächst Germanistik und Kunstgeschichte studierte, um dann doch den angestrebten Lektoren-Sessel gegen den Richterstuhl einzutauschen. Drei Jahrzehnte, in denen er Karrieren beobachten konnte, die parallel zu der seinen verliefen - nur auf der anderen Seite des Richtertischs. "Oh, Sie schon wieder" - so lautete mehr als einmal die wechselseitige Begrüßungsformel beim ersten Blickkontakt zwischen Richter und Angeklagtem. Was immer der Mann oder die Frau auf der Anklagebank getan hatten: Sie konnten mit einem zivilisierten Umgangston rechnen. Richter Gabelmann verhandelte so, als halte er die Unschuld des Angeklagten zumindest für möglich. "Ich habe immer versucht, an die Leute ranzukommen", sagt er. Bisweilen führte das zu unpopulären Urteilen. Wo andere Richter selbst massivste Zweifel wegdefinieren, um nach der von ihnen für wahrscheinlich gehaltenen Version urteilen zu können, gab es bei Gabelmann auch schon mal unerwartete Freisprüche nach dem Prinzip "im Zweifel für den Angeklagten". Aber er konnte auch das geforderte Strafmaß der Anklage deutlich überbieten, wenn er es für angemessen hielt. "Ohne Konsequenz", so sein Leitmotiv, "geht es nicht." Die Tendenzen, die er über die Jahre in seinen Prozessen beobachten konnte, klingen beunruhigend. Immer brutalere Gewalt unter jugendlichen Tätern ("Früher hat man wenigstens aufgehört, wenn einer am Boden lag."), immer mehr Finten bei großen Verfahren. Manchmal, wenn er das Gefühl hatte, wieder einmal gegen Windmühlenflügel zu kämpfen, hat er nach der Arbeit zu Hause bei seiner Lebensgefährtin angerufen und sie gebeten, schon mal die Rotweinflasche zu entkorken - "dann wusste die schon, was mit mir los war". Für Genüsse aller Art hat der Schöngeist, dessen pfälzische Herkunft man ihm nicht anhört, nun reichlich Zeit. Vor allem fürs Lesen und fürs Reisen. Nicht nur auf seine Lieblings-Insel Lesbos, die er so gut kennt, dass er ernsthaft darüber nachgedacht hat, einen Reiseführer zu schreiben. Jetzt wird auch Zeit sein, ein Groß-Projekt fortzusetzen, das er vor Jahren begonnen hat: die Grenzen des antiken römischen Reiches abzureisen. Und das war, wie spätestens seit der Konstantin-Ausstellung selbst der Laie weiß, erstaunlich groß. Extra Nachfolger von Rolf Gabelmann als Vorsitzender der 2. Großen Strafkammer und damit auch der Jugendkammer am Landgericht Trier wird Albrecht Keimburg. Er amtierte lange Jahre als Beisitzer des Schwurgerichts in der "Finkelgruen-Kammer" und zuletzt bei der dritten Großen Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Armin Hardt. Prozessbeobachtern fiel er oft als ebenso gründlicher wie sensibler Fragesteller auf.

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