Berlin in Erklärungsnot

BERLIN. Ungemach aus Übersee bringt die Bundesregierung in Erklärungsnot: Die BND-Affäre ist alles andere als ausgestanden.

Beim Studium ihrer Pressemappen mussten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gestern früh kräftig schlucken. Der Bundesregierung droht erneut Ungemach aus Übersee: "Die USA haben nach einem Bericht der New York Times einen Monat vor Beginn des Irakkriegs die Verteidigungspläne für Bagdad aus deutschen Geheimdienstquellen erhalten", lautete die skandalträchtige Meldung, die Merkel und Steinmeier den Morgen ordentlich vermieste. Eine Nachricht, die den Regierungsapparat sogar in helle Aufregung versetzte. Unter Berufung auf eine geheime Studie des US-Militärs berichtet die renommierte Zeitung überaus detailliert, Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) hätten den Verteidigungsplan des Diktators Saddam Hussein für die irakische Hauptstadt beschafft. Regierungssprecher hüllt sich in Schweigen

Der Plan sei einen Monat vor Kriegsausbruch im März 2003 über die Informationskette zuerst an die BND-Zentrale in Pullach und schließlich durch einen Agenten in Katar dem US-Militärgeheimdienst übermittelt worden. Laut "NYT" enthalte die US-Militärstudie auch eine Kopie der von den deutschen "Schlapphüten" gelieferten Skizze der Verteidigungsringe rund um Bagdad. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hüllte sich zunächst in Schweigen, als er mit den heiklen Erkenntnissen konfrontiert wurde. Intensiv mussten die schwerwiegenden Vorwürfe des Blattes erst geprüft werden. Am Mittag folgte schließlich das Dementi: "Diese Darstellung ist falsch", betonte Wilhelm. "Der Bundesregierung war ein solcher Plan nicht bekannt", fügte er hinzu. Auch die von der Zeitung beschriebenen BND-Aktivitäten habe es nicht gegeben. Skepsis ist trotzdem angebracht. "Dass der Bericht zu 100 Prozent an den Haaren herbeigezogen ist, das glaube ich nicht", schüttelt der Innenexperte der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, den Kopf. Soll heißen: Welche Regierung bestätigt solche brisanten Meldungen auch freiwillig und sofort? Die Folgen wären doch fatal: Die Bundesregierung sähe sich dann dem Vorwurf ausgesetzt, der Nachrichtendienst oder sogar die Regierung selbst hätten versucht, in den vergangenen Wochen das wahre Ausmaß der Hilfstätigkeit deutscher Agenten für die US-Streitkräfte im Irak zu vertuschen; überdies wäre auch die Expertise der Bundesregierung rund um die BND-Affäre für das zuständige Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) unzulänglich und unvollständig. Sehenden Auges würde man also in einen handfesten Skandal mit dem Zeug zum Politthriller hineinrutschen. Wilhelms Dementi, heißt es, sei daher nur folgerichtig. Die New York Times ist allerdings bekannt für ihre solide Recherche und ihre guten Quellen. "Wenn also Informationen zurückgehalten worden sind und das Parlament nicht vollständig unterrichtet worden ist, ist das inakzeptabel", warnt die stellvertretende Fraktionschefin der FDP, Birgit Homburger, gegenüber unserer Zeitung vor falschem Spiel. Die Liberalen wollen dennoch erst am 7. März bei ihrer Fraktionsklausur entscheiden, ob sie wie Grüne und Linkspartei einen Untersuchungsausschuss fordern werden. Auf der anderen Seite kommt der Regierung zur Hilfe, dass auch diese Angelegenheit einen überaus faden Beigeschmack hat. Pünktlich zum Deutschlandbesuch von US-Außenministerin Condoleezza Rice Anfang Dezember waren Berichte über geheime CIA-Flüge und die Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri aufgetaucht; kaum reiste Kanzlerin Angela Merkel im Januar zum Antrittsbesuch nach Washington, wurden von US-Seite die ersten Meldungen über BND-Aktivitäten im Irak während des Krieges lanciert. Die Nachricht über die angebliche Weiterleitung des irakischen Verteidigungsplanes ist jetzt der dritte Fall. Er gerät in einer Zeit ans Tageslicht, in der das öffentliche Interesse an der BND-Affäre und an einem U-Ausschuss stark nachlässt. Manch einer in Berlin vermutet deshalb bereits eine Verschwörung von US-Kreisen, die neben der alten Regierung die neue Regierung gleich mit beschädigen soll. Regierungssprecher Wilhelm wollte sich dazu gestern nicht äußern.

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